Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 473

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seiner Waren wie Kunz, Arbeiter wie ein anderer Kapitalist, Inländer wie Ausländer, Bauer wie Handwerker. Der einzelne Kapitalist steckt seinen Profit in die Tasche, an wen er auch seine Waren absetzt, und die Unternehmer der Lebensmittelbranche sacken den Profit so gut beim Verkauf ihrer Waren an die Arbeiter ein wie die Unternehmer der Luxusbranche beim Losschlagen ihrer Spitzen, Goldwaren und Diamanten an die holde Weiblichkeit der „oberen Zehntausend“. Wenn jedoch Bauer diese platte empirische Weisheit des Einzelunternehmers, ohne es im geringsten zu merken, auf das Gesamtkapital überträgt, wenn er die Bedingungen der gesellschaftlichen Reproduktion von den Bedingungen der Reproduktion des Einzelkapitals nicht unterscheiden kann – ja, zu was hat dann in aller Welt Marx seinen zweiten Band des „Kapitals“ geschrieben? Darin besteht ja der Kern der Marxschen Theorie der Reproduktion, darin die entscheidende Leistung des „erstaunlichen Werkes”, wie Bauers Kollege Hilferding sagt, daß Marx zum erstenmal aus dem Wust von Widersprüchen und tastenden Versuchen der Quesnay, Adam Smith und ihrer späteren Verflacher endlich mit klassischer Klarheit den fundamentalen Unterschied zwischen den beiden Kategorien: Einzelkapital und gesellschaftliches Gesamtkapital, in ihren Bewegungen herausgehoben hat! Prüfen wir von diesem Standpunkt die Bauersche Auffassung auch nur mit den einfachsten Mitteln.

Wo nehmen die Arbeiter das Geld her, mit dem sie beim Kauf der Lebensmittel den Mehrwert des Kapitalisten realisieren sollen? Der Einzelunternehmer schert sich freilich den Teufel darum, woher sein „Kunde“ den Mammon hat, wenn er nur welchen hat, und sei dieser geschenkt, gestohlen oder durch Prostitution erworben. Für die Gesamtklasse der Kapitalisten jedoch besteht hier die unerschütterliche Tatsache, daß die Arbeiter nur von ihnen, den Kapitalisten selbst, im Austausch gegen die Arbeitskraft Mittel in die Hand kriegen, womit sie ihre Lebensbedürfnisse decken: die Löhne. Sie bekommen sie, wie ich das schon oben ausgeführt habe, entsprechend den Bedingungen der modernen Warenproduktion, in zweierlei Gestalt: erst als Geld, dann als Ware, wobei das Geld immer wieder zu seinem Ausgangspunkt, der Tasche der Kapitalistenklasse, zurückkehrt. Diese Zirkulation des variablen Kapitals erschöpft gänzlich die Kaufkraft der Arbeiter und ihren Austauschkontakt mit den Kapitalisten. Werden also Lebensmittel an die Arbeiterklasse zugewiesen, so heißt das gesellschaftlich nicht, daß Kapital den Mehrwert realisiert, sondern daß es variables Kapital in Waren (Reallöhne) liefert, wobei es genau im gleichen Betrage das eigene Kapital aus der vergangenen Periode in Geld-

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