Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 469

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Wechsel der Konjunkturen zu. Was sehen wir aber auf der anderen Seite? Im gleichen Atem nimmt Bauer, „um die Untersuchung zu vereinfachen“, eine feste, unveränderte Mehrwertrate an! (l. c., S. 835.)

Wohlgemerkt, die wissenschaftliche Analyse darf freilich zur Vereinfachung des Gegenstandes von den Bedingungen der Wirklichkeit absehen oder sie frei kombinieren, wie es ihrem jeweiligen Zwecke entspricht. Der Mathematiker darf seine Gleichung beliebig reduzieren oder potenzieren. Der Physiker darf zur Erklärung der relativen Fallgeschwindigkeiten der Körper Experimente im luftleeren Raum vornehmen. Ebenso darf der Nationalökonom für bestimmte Zwecke der Untersuchung gewisse reale Bedingungen des wirtschaftlichen Lebens ausschalten. Marx geht in dem ganzen ersten Bande seines „Kapitals“ von der Voraussetzung aus, 1. daß alle Waren zu ihrem Wert verkauft werden und 2. daß die Arbeitslöhne dem vollen Wert der Arbeitskraft entsprechen, welcher Annahme die Praxis bekanntlich auf Schritt und Tritt widerspricht. Marx wendete dies Verfahren zu dem Zwecke an, um zu zeigen, wie auch unter diesen für die Arbeiter allergünstigsten Bedingungen die kapitalistische Ausbeutung bewerkstelligt wird. Seine Analyse hört deshalb nicht auf, wissenschaftlich exakt zu sein, umgekehrt gibt er uns gerade auf diesem Wege erst eine unerschütterliche Grundlage zur genauen Einschätzung der täglichen Praxis mit ihren Abweichungen.

Was würde man aber zu einem Mathematiker sagen, der die eine Hälfte seiner Gleichung mit 2 multiplizieren und die andere unverändert lassen oder durch 2 dividieren würde? Was soll man von einem Physiker denken, der bei dem Vergleich der relativen Fallgeschwindigkeiten verschiedener Körper die einen im Luftraum, die anderen im luftleeren Raum beobachten würde? So verfährt Bauer. Marx nimmt freilich bei allen seinen Schemata der Reproduktion ständig fixe Mehrwerte an, und man kann gerade diese Annahme für die Untersuchung des Akkumulationsproblems für unzulässig halten. Aber bei seiner Annahme und in den Grenzen seiner Annahme verfuhr Marx ganz konsequent, er sah überall auch vom technischen Fortschritt ab.

Bauer macht die Sache noch ganz anders: Er nimmt mit Marx eine feste Mehrwertrate, zugleich aber im Gegensatz zu Marx einen starken und unaufhörlichen technischen Fortschritt an! Er zieht technischen Fortschritt in Rechnung, der aber die Ausbeutung gar nicht steigert – also zwei Bedingungen zugleich, die einander ins Gesicht schlagen, einander aufheben. Er überläßt uns dann großmütig, alle seine Operationen unter Annahme einer steigenden Mehrwertrate, von der er „vorerst“ abgesehen, selbst nachzu-

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