neuanzulegendem Kapital. Es folgt also durchaus nicht, daß die Krise in der der kapitalistischen Produktion immanenten Unterkonsumtion der Massen ihre Ursache haben muß. – Ebensowenig folgt aus den Schemata an sich die Möglichkeit einer allgemeinen Überproduktion an Waren, vielmehr läßt sich jede Ausdehnung der Produktion als möglich zeigen, die überhaupt bei den vorhandenen Produktivkräften stattfinden kann.“ (S. 318.) [Hervorhebungen – R. L.]
Das ist alles. Auch Hilferding erblickt also in der Marxschen Analyse der Akkumulation einzig und allein eine Grundlage zur Lösung des Krisenproblems, und zwar indem die mathematischen Schemata die Proportionen zeigen, bei deren Einhaltung die ungestörte Akkumulation stattfinden könnte. Daraus zieht Hilferding zwei Schlüsse:
Krisen entstehen lediglich aus Disproportionalität – womit er die ,,soweit wir sehen, allgemein von den orthodoxen Marxisten angenommene, von Marx begründete Krisentheorie“ aus „Unterkonsumtion“ im Orkus versenkt und dafür die von Kautsky als revisionistische Ketzerei zerschmetterte Krisentheorie Tugan-Baranowskis übernimmt, in deren Konsequenz er folgerichtig bis zu der Behauptung des „Jammermenschen“ Say gelangt: allgemeine Überproduktion sei unmöglich.
Abgesehen von Krisen als periodische Störungen infolge mangelnder Proportionalität könne die Kapitalakkumulation (in einer bloß aus Kapitalisten und Arbeitern bestehenden Gesellschaft) durch fortwährende „Ausdehnung“ schrankenlos so weit gehen, wie nur die jeweiligen Produktivkräfte erlauben, womit wiederum der von Kautsky zerschmetterte Tugan wörtlich kopiert wird.
Ein Problem der Akkumulation, abgesehen von Krisen, existiert also für Hilferding nicht, denn die „Schemata zeigen“ ja, daß „jede Ausdehnung“ schrankenlos möglich sei, d. h„ daß mit der Produktion zugleich ihr Absatz ohne weiteres wachse. Von der Bauerschen Schranke des Bevölkerungswachstums auch hier keine Spur und keine Ahnung, daß eine solche Theorie notwendig war.
Und endlich auch für Bauer selbst ist seine jetzige Theorie eine ganz neue Entdeckung.
Erst 1904, also schon nach der Auseinandersetzung zwischen Kautsky und Tugan-Baranowski, behandelte er in der „Neuen Zeit“ in zwei Artikeln speziell die Krisentheorie im Lichte der Marxschen Theorie.[1] Er erklärt dort selbst, zum erstenmal eine zusammenhängende Darstellung die-
[1] Otto Bauer: Marx’ Theorie der Wirtschaftskrisen. In: Die Neue Zeit (Stuttgart), 23. Jg. 1904/05, Erster Band, S. 133–138 u. S. 164–170.