Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 454

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Noch einmal kommt Kautsky seitdem auf den zweiten Band des „Kapitals“ zu sprechen, und zwar in der von uns bereits angezogenen Artikelserie gegen Tugan-Baranowski. Hier formuliert Kautsky jene „soweit wir sehen, allgemein von den orthodoxen Marxisten angenommene, von Marx begründete Krisentheorie“, deren Kernpunkt darin besteht, daß die Konsumtion der Kapitalisten und Arbeiter für die Akkumulation als Basis nicht ausreiche und daß „ein zusätzlicher Absatzmarkt“ notwendig sei, und zwar „in den noch nicht kapitalistisch produzierenden Berufen und Nationen“. Kautsky scheint aber nicht gewahr zu werden, daß diese „allgemein von den orthodoxen Marxisten angenommene“ Krisentheorie nicht bloß zu den Tugan-Baranowskischen Paradoxen, sondern auch zu den eigenen Schemata der Akkumulation von Marx sowie zu deren allgemeiner Voraussetzung im zweiten Bande durchaus nicht paßt. Denn die Voraussetzung der Marxschen Analyse im zweiten Bande ist gerade eine nur aus Kapitalisten und Arbeitern bestehende Gesellschaft, und die Schemata unternehmen es eben, exakt als ein ökonomisches Gesetz darzustellen, wie jene zwei nichtausreichenden Konsumentenklassen durch ihre Konsumtion allein die Akkumulation von Jahr zu Jahr ermöglichen sollen. Noch weniger finden wir hier bei Kautsky auch nur die leiseste Andeutung der Bauerschen Bevölkerungstheorie als wahre Grundlage der Marxschen Schemata der Akkumulation.

Nehmen wir Hilferdings „Finanzkapital“[1], so gibt er darin im Kapitel XVI, nach einer Einleitung, worin die Marxsche Darstellung der Reproduktionsbedingungen des Gesamtkapitals in höchsten – und in der Tat völlig angemessenen – Ausdrücken der Bewunderung als die genialste Leistung des „erstaunlichen Werkes“ gepriesen wird, auf 14 Druckseiten eine wörtliche Abschrift der einschlägigen Seiten von Marx, natürlich mitsamt den mathematischen Schemata, wobei Hilferding sich – wiederum mit Recht – auch noch beklagt, daß diese Schemata so wenig betrachtet worden und erst dankenswerterweise durch Tugan-Baranowski einigermaßen zu Ehren gekommen seien. Und was bemerkt Hilferding selbst in der ganzen genialen Leistung? Hier seine Konklusionen:

Die Marxschen Schemata zeigen, „daß in der kapitalistischen Produktion sowohl Reproduktion auf einfacher als auf erweiterter Stufenleiter ungestört vor sich gehen kann, wenn nur diese Proportionen erhalten bleiben. Umgekehrt kann Krise auch bei einfacher Reproduktion eintreten bei Verletzung der Proportion, zum Beispiel zwischen abgestorbenem und

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[1] Rudolf Hilferding: Das Finanzkapital. Eine Studie über die jüngste Entwicklung des Kapitalismus, Wien 1910.