Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 451

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mangelnden Proportionalität der gesellschaftlichen Produktion ihren letzten Grund haben – ist das mehr als eine bloße Doktorfrage?

So dürfte mancher ,Praktiker‘ versucht sein zu meinen. Tatsächlich hat diese Frage eine große praktische Bedeutung, und zwar gerade für die jetzigen taktischen Differenzen, die in unserer Partei diskutiert werden. Es ist kein Zufall, daß der Revisionismus die Marxsche Krisentheorie besonders heftig bekämpft.“

Und Kautsky legt in aller Breite dar, daß die Tugan-Baranowskische Krisentheorie im Grunde genommen auf eine angebliche „Milderung der Klassengegensätze“ hinauslaufe, d. h. zum theoretischen Inventar jener Richtung gehöre, welche „die Umwandlung der Sozialdemokratie aus einer Partei des proletarischen Klassenkampf es in eine demokratische oder in den linken Flügel einer demokratischen Partei sozialistischer Reformen“ bedeute. (l. c., Nr. 31, S. 141.)

So streckte der Obersachverständige vor 14 Jahren den Ketzer Tugan-Baranowski auf 36 gedruckten Seiten der „Neuen Zeit“ nach allen Regeln nieder und zog zum Schluß mit dem Skalp des Erlegten am Gürtel von dannen.

Und nun muß ich erleben, daß heute die „Sachverständigen“, die getreuen Schüler ihres Meisters, meine Analyse der Akkumulation genau mit demselben „Grundsatz” erschlagen, der den russischen Revisionisten in den Jagdgründen der „Neuen Zeit“ das Leben gekostet hat! Was bei diesem Abenteuer aus der „soweit wir sehen, allgemein von den orthodoxen Marxisten angenommenen Krisentheorie“ wird, ist freilich nicht ganz klar.

Doch es begab sich noch etwas Originelleres. Nachdem meine „Akkumulation“ so mit Tugan-Baranowskischen Waffen im „Vorwärts“, in der „Bremer Bürger-Zeitung“, in der „Dresdner Volkszeitung“, in der „Frankfurter Volksstimme“ zerschmettert worden ist, erschien in der „Neuen Zeit“ die Kritik Otto Bauers. Auch dieser Sachverständige glaubt zwar, wie wir gesehen, an die zauberhafte Beweiskraft mathematischer Schemata in Fragen der gesellschaftlichen Reproduktion. Aber er ist mit den Marxschen Schemata doch nicht ganz zufrieden. Er findet sie „nicht einwandfrei“, „willkürlich und nicht ohne Widersprüche“, was er daraus erklärt, daß Engels diesen Teil des Marxschen Werkes im Nachlaß des Meisters „unfertig vorgefunden hat“. Er macht deshalb selbst im Schweiße seines Angesichts neue Schemata: „Darum haben wir hier Schemata aufgestellt, die, sobald man die Voraussetzungen einmal annimmt, nichts Willkürliches mehr enthalten.“ Erst mit diesen neuen Schemata glaubt Bauer

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