Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 449

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Kapitalreichtum. Statt dessen gerät sie ins Stocken, das wachsende Kapital wandert aus, nach Rußland, Südafrika, China, Japan usw. Diese Erscheinung findet ihre ungezwungene Erklärung durch unsere Theorie, welche den letzten Grund der Krisen in der Unterkonsumtion sieht, und bildet eine der Stützen dieser Theorie; sie ist unbegreiflich vom Standpunkt Tugan-Baranowskis aus.“ (Neue Zeit, 1902, Nr. 31, S. 140.)

Welche ist nun „unsere Theorie“, die Kautsky derjenigen Tugans entgegenstellt? Hier ist sie in Kautskys eigenen Worten:

„Die Kapitalisten und die von ihnen ausgebeuteten Arbeiter bieten einen mit der Zunahme des Reichtums der ersteren und der Zahl der letzteren zwar stets wachsenden, aber nicht so rasch wie die Akkumulation des Kapitals und die Produktivität der Arbeit wachsenden und für sich allein nicht ausreichenden Markt für die von der kapitalistischen Großindustrie geschaffenen Konsummittel. Diese muß einen zusätzlichen Markt außerhalb ihres Bereiches in den noch nicht kapitalistisch produzierenden Berufen und Nationen suchen. Den findet sie auch, und sie erweitert ihn ebenfalls immer mehr, aber ebenfalls nicht rasch genug. Denn dieser zusätzliche Markt besitzt bei weitem nicht die Elastizität und Ausdehnungsfähigkeit des kapitalistischen Produktionsprozesses. Sobald die kapitalistische Produktion zur entwickelten Großindustrie geworden ist, wie dies in England schon im neunzehnten Jahrhundert der Fall war, enthält sie die Möglichkeit derartiger sprunghafter Ausdehnung, daß sie jede Erweiterung des Marktes binnen kurzem überholt. So ist jede Periode der Prosperität, die einer erheblichen Erweiterung des Marktes folgt, von vornherein zur Kurzlebigkeit verurteilt, und die Krise wird ihr notwendiges Ende.

Dies in kurzen Zügen die, soweit wir sehen, von den ,orthodoxen‘ Marxisten allgemein angenommene, von Marx begründete Krisentheorie.“ (1. c., Nr. 29, S. 80. Hervorhebungen rühren von mir her – R. L.)

Wir sehen hier davon ab, daß Kautsky dieser Theorie den schiefen und zweideutigen Namen einer Erklärung der Krisen „aus Unterkonsumtion“ anhängt, welche Erklärung Marx gerade im zweiten Bande des „Kapitals“, S. 289[1], verspottet.

Wir sehen ferner davon ab, daß Kautsky in der ganzen Sache nichts als das Krisenproblem erblickt, ohne, wie es scheint, zu bemerken, daß die kapitalistische Akkumulation auch abgesehen von Konjunkturschwankungen ein Problem darstellt.

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[1] Siehe Karl Marx: Dm Kapital, Zweiter Band. In: Karl Marx, Friedrich Engels: Werke, Bd. 24, S. 319 f.