Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 447

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eigenen Betriebe stecken und diese füreinander erweitern und so im Kreise fort. Die geschichtliche Bewegung des Kapitals wird einfach unbegreiflich und mit ihr der heutige Imperialismus.

Oder aber bleibt die unbezahlbare Erklärung Pannekoeks in der „Bremer Bürger-Zeitung“[1]: das Suchen nach nichtkapitalistischen Absatzmärkten sei zwar „Tatsache, aber keine Notwendigkeit“, was ja eine wahre Perle der materialistischen Geschichtsauffassung ist. Ganz richtig übrigens! Mit der Annahme der „Sachverständigen“ hört der Sozialismus als Endziel wie der Imperialismus als sein vorbereitendes Stadium auf, historische Notwendigkeit zu sein. Jener wird zu einem löblichen Entschluß der Arbeiterklasse wie dieser bloß eine Nichtswürdigkeit und Verblendung der Bourgeoisie.

So gelangen die „Sachverständigen“ vor eine Alternative, der sie nicht ausweichen können. Entweder ist kapitalistische Produktion und Absatzmarkt identisch, wie sie aus den Marxschen Schemata deduzieren, dann geht die Marxsche Krisentheorie, die Marxsche Begründung des Sozialismus und die historisch-materialistische Erklärung für den Imperialismus flöten. Oder aber kann das Kapital nur so weit akkumulieren, wie es außerhalb der Kapitalisten und Lohnarbeiter in der Gesellschaft Konsumenten findet, dann ist die Voraussetzung der Akkumulation – wachsender Absatz in nichtkapitalistischen Schichten und Ländern – unumgänglich.

Für die obigen Konsequenzen habe ich in all meiner Verlassenheit einen ganz unverdächtigen und auch höchst „sachverständigen“ Kronzeugen.

Es geschah, daß im Jahre 1901 ein Buch erschien: „Theorie und Geschichte der Handelskrisen in England“ von dem marxistischen russischen Professor Michael v. Tugan-Baranowski. Tugan, der in dem genannten Buche seinen Marx in der Weise „revidierte“, daß er dessen Theorie Stück für Stück schließlich durch alte abgedroschene Weisheiten der bürgerlichen Vulgärökonomie ersetzte, vertrat hier unter anderen Paradoxen auch die Ansicht, daß die Krisen lediglich von mangelnder Proportionalität herrühren, nicht davon, daß die zahlungsfähige Konsumtion der Gesellschaft mit der Ausdehnungsfähigkeit der Produktion nicht Schritt halte. Und diese von Say erborgte Weisheit bewies er – dies war das Neue und Aufsehenerregende in seiner Theorie – durch die Marxschen Schemata der gesellschaftlichen Reproduktion im zweiten Bande des „Kapitals“!

„Ist es nur möglich“, sagt Tugan, „die gesellschaftliche Produktion zu erweitern, reichen die Produktivkräfte dazu aus, so muß bei der propor-

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[1] Anton Pannekoek: Rosa Luxemburg: Die Akkumulation des Kapitals. Ein Beitrag zur ökonomischen Erklärung des Imperialismus. In: Bremer Bürger-Zeitung vom 30. Januar 1913.