Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 444

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hoffnungslos zerschellen, weil die „Sachverständigen“ einfach an dem Standpunkt des Einzelkapitalisten haften, der zwar für die Analyse des Ausbeutungs-, d. h. des Produktionsprozesses, also zum Verständnis des ersten Bandes des „Kapitals“ einigermaßen ausreicht, für die Zirkulation und Reproduktion des Kapitals hingegen völlig verfehlt ist. Der zweite und dritte Band des Marxschen „Kapitals“, die der Grundgedanke des gesellschaftlichen Gesamtkapitals durchleuchtet, sind für sie totes Kapital geblieben, in dem sie Buchstaben, Formeln, „Schemata“ gelernt, den Geist nicht bemerkt haben. Marx selbst war jedenfalls kein „Sachverständiger“. Denn ohne sich bei dem arithmetischen „Vorgang” seiner Schemata zu beruhigen, stellt er immer wieder die Frage: Wie ist allgemeine Akkumulation, wie ist Bildung von neuem Geldkapital bei der Klasse der Kapitalisten möglich? Es war seit jeher den Epigonen vorbehalten, befruchtende Hypothesen des Meisters in starres Dogma zu verwandeln und satte Beruhigung zu finden, wo ein bahnbrechender Geist schöpferische Zweifel empfand.

Der Standpunkt der „Sachverständigen“ führt nun aber zu einer Reihe interessanter Konsequenzen, die weiter durchzudenken sie sich offenbar nicht die Mühe genommen haben.

Erste Konsequenz. Wenn die kapitalistische Produktion für sich selbst schrankenlose Abnehmerin, d. h. Produktion und Absatzmarkt identisch sind, dann werden Krisen als periodische Erscheinung völlig unerklärlich. Da die Produktion, „wie die Schemata zeigen“, beliebig akkumulieren kann, indem sie ihren eigenen Zuwachs wieder zur neuen Erweiterung verwendet, so ist rätselhaft, wie und warum Zustände entstehen können, wobei die kapitalistische Produktion keinen genügenden Absatz für ihre Waren findet. Braucht sie doch, nach dem Rezept der „Sachverständigen“, die überschüssigen Waren nur selbst zu schlucken, in die Produktion (teils als Produktionsmittel, teils als Lebensmittel für die Arbeiter) zu stecken, „und ebenso in jedem folgenden Jahr“, wie „die Tabelle IV“ Otto Bauers zeigt. Der unverdauliche Warenrest würde sich dann im Gegenteil in neuen Segen der Akkumulation und Profitmacherei verwandeln. Jedenfalls verwandelt sich die spezifische Marxsche Auffassung der Krise, wonach diese sich aus der Tendenz des Kapitals ergibt, über jede gegebene Marktschranke in immer kürzerer Zeit hinauszuwachsen, in eine Absurdität. Denn wie könnte in der Tat die Produktion über den Markt hinauswachsen, da sie ja selbst der Markt für sich ist, der Markt also stets von selbst, automatisch, ebensoschnell wächst wie die Produktion? Wie könnte, mit anderen Worten, die kapitalistische Produktion periodisch

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