Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 439

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die Akkumulation vor sich gehen könne, und stelle die Meinung auf, daß die kapitalistische Produktionsentwicklung im ganzen sich überhaupt nicht in ein schematisches Verhältnis zwischen rein kapitalistischen Betrieben einschließen lasse. Darauf antworten die „Sachverständigen“: Aber gewiß ist das möglich! Das läßt sich ja glänzend beweisen „an der Hand der Tabelle IV“, „das zeigen eben die Schemata“ – d. h. die Tatsache, daß sich die zur Illustration ausgedachten Zahlenreihen auf dem Papier widerstandslos addieren und subtrahieren lassen!

Im Altertum glaubte man an die Existenz von allerlei Fabelwesen: Zwergen, Menschen mit einem Auge, mit einem Arm und Bein und dgl. mehr. Zweifelt jemand vielleicht, daß es solche Wesen wirklich ehemals gegeben hat? Aber wir sehen sie ja genau eingezeichnet auf alten Weltkarten. Ist das nicht ein Beweis, daß jene Vorstellungen der Alten genau der Wirklichkeit entsprachen?

Doch nehmen wir ein trockenes Beispiel.

Für den geplanten Bau einer Eisenbahn von der Stadt X nach der Stadt Y wird ein Kostenplan aufgestellt und in genauen Zahlen berechnet, wie groß der jährliche Personen- und Güterverkehr sein müßte, damit außer der Amortisation, den laufenden Betriebskosten und den üblichen „Rücklagen“ eine „angemessene“ Dividende, sagen wir erst von 5 Prozent, dann von 8 Prozent, ausgeschüttet werden könne. Für die Gründer der Eisenbahngesellschaft handelt es sich natürlich vor allem um die Frage, ob tatsächlich auf der vorgesehenen Strecke der Personen- und Frachtverkehr zu erwarten ist, der die im Kostenplan in Rechnung gebrachte Rentabilität sichern soll. Um diese Frage zu beantworten, sind offenbar genaue Unterlagen über den bisherigen Verkehr der Strecke, über ihre Bedeutung für Handel und Industrie, über das Wachstum der Bevölkerung der an ihr gelegenen Städte und Dörfer und andere Dinge der ökonomischen und sozialen Verhältnisse notwendig. Was würde man nun zu einem Menschen sagen, der ausrufen wollte: Sie fragen, woraus sich die Rentabilität der Strecke ergibt? Aber ich bitte Sie, das zeigt doch aber gerade schwarz auf weiß der Kostenplan. Dort steht doch zu lesen, daß es der Personen- und Frachtverkehr ist und daß aus diesen Einnahmen sich erst eine fünfprozentige, dann eine achtprozentige Dividende ergeben wird. Wenn Sie das nicht einsehen, meine Herren, dann haben Sie eben Wesen, Zweck und Bedeutung des Kostenplanes völlig mißverstanden![1]

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[1] „Und wer die Produkte kauft, das zeigen eben die Schemata.” „Genossin Luxemburg hat eben Wesen, Zweck und Bedeutung der Marxschen Schemata gründlich mißverstanden.” (G. Eckstein, „Vorwärts”-Rezension vom 16. Februar 1913, Beilage.)