Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 438

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-5/seite/438

die Hauptsache, die ökonomische Möglichkeit einer derartigen Akkumulation beweisen könnten, ist das ergötzlichste Quiproquo der „sachverständigen“ Hüter des Marxismus und genügt an sich, um Marx sich im Grabe umdrehen zu lassen.

Marx selbst fiel es nicht im Traume ein, seine eigenen mathematischen Schemata etwa als Beweis auszugeben, daß die Akkumulation bloß in einer aus Kapitalisten und Arbeitern bestehenden Gesellschaft tatsächlich möglich sei. Marx untersuchte den inneren Mechanismus der kapitalistischen Akkumulation und stellte bestimmte ökonomische Gesetze auf, auf denen der Prozeß beruht. Er führte ungefähr aus: Soll die Akkumulation des Gesamtkapitals, also bei der ganzen Klasse der Kapitalisten, stattfinden, dann müssen zwischen den beiden großen Abteilungen der gesellschaftlichen Produktion: der Herstellung der Produktionsmittel und der Herstellung der Lebensmittel, gewisse ganz genaue quantitative Beziehungen bestehen. Nur wenn solche Beziehungen eingehalten werden, so daß die eine große Abteilung der Produktion der andern ständig in die Hände arbeitet, könne die fortschreitende Erweiterung der Produktion und zugleich – was der Zweck des ganzen – die aus ihr entspringende fortschreitende Anhäufung von Kapital in beiden Abteilungen ungestört vor sich gehen. Um diesen seinen Gedanken klar und deutlich darzulegen und genau zu fassen, entwirft Marx ein mathematisches Beispiel, ein Schema mit erdachten Zahlen, an deren Hand er zeigt, soundso müßten sich die einzelnen Positionen des Schemas (konstantes Kapital, variables Kapital, Mehrwert) zueinander verhalten, wenn die Akkumulation vor sich gehen soll.

Man verstehe also wohl: Die mathematischen Schemata sind für Marx Beispiel, Illustration seiner ökonomischen Gedanken, wie das „Tableau économique“ Quesnays für dessen Theorie eine war oder wie z. B. die Weltkarten aus verschiedenen Zeitaltern Illustration der jeweilig herrschenden astronomischen und geographischen Vorstellungen sind. Ob die von Marx aufgestellten oder, richtiger, fragmentarisch angedeuteten Gesetze der Akkumulation richtig sind, kann offenbar nur die ökonomische Analyse selbst beweisen, ihr Vergleich mit anderen von Marx aufgestellten Gesetzen, die Überlegung verschiedener Konsequenzen, zu denen sie führen, die Nachprüfung der Voraussetzungen, von denen sie ausgehen u. dgl. Was soll man aber von „Marxisten“ denken, die jede derartige Kritik als ein hirnverbranntes Unternehmen ablehnen, weil die Richtigkeit der Gesetze durch die mathematischen Schemata bewiesen sei! Ich äußere Zweifel darüber, ob in einer lediglich aus Kapitalisten und Arbeitern bestehenden Gesellschaft, wie sie den Marxschen Schemata zugrunde liegt,

Nächste Seite »