Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 420

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lange wir die Sache vom Standpunkte der Marktoberfläche, d. h. des Einzelkapitals, dieser beliebten Plattform des Vulgärökonomen, untersuchen wollen. [1]

Die Sache bekommt aber gleich Gestalt und strengen Umriß, wenn wir die kapitalistische Produktion als Ganzes, vom Standpunkte des Gesamtkapitals, also dem in letzter Linie einzig maßgebenden und richtigen betrachten. Dies ist eben der Standpunkt, den Marx im zweiten Bande seines „Kapitals” zum erstenmal systematisch entwickelt, den er aber seiner ganzen Theorie zugrunde gelegt hat. Die selbstherrliche Privatexistenz des Einzelkapitals ist in der Tat lediglich äußere Form, Oberfläche des Wirtschaftslebens, die nur vom Vulgärökonomen als Wesen der Dinge und einzige Quelle der Erkenntnis betrachtet wird. Unter dieser Oberfläche und durch alle Gegensätze der Konkurrenz hindurch bewährt sich die Tatsache, daß alle Einzelkapitale gesellschaftlich ein Ganzes bilden, daß ihre Existenz und Bewegung durch gemeinsame gesellschaftliche Gesetze regiert wird, die nur infolge der Planlosigkeit und Anarchie des heutigen Systems hinter dem Rücken der einzelnen Kapitalisten und entgegen ihrem Bewußtsein von hintenherum durch lauter Abweichungen sich durchsetzen.

Fassen wir die kapitalistische Produktion als Ganzes zusammen, dann wird bald auch das gesellschaftliche Bedürfnis eine faßbare Größe, die sich greifbar gliedert.

Stellen wir uns vor, alle in der kapitalistischen Gesellschaft hergestellten Waren wären jedes Jahr auf einem Platz, auf einem großen Haufen zusammengestapelt, um in der Gesellschaft als Gesamtmasse Verwendung zu finden. Wir werden dann alsbald finden, daß sich dieser Warenbrei mit Selbstverständlichkeit in einige große Portionen von verschiedener Art und Bestimmung scheidet.

In jeder Gesellschaftsform und zu allen Zeiten mußte die Produktion in dieser oder jener Weise zweierlei besorgen. Sie mußte erstens die Gesellschaft schlecht oder recht ernähren, bekleiden und ihre sonstigen Kulturbedürfnisse durch materielle Dinge befriedigen, d. h„ sie mußte, um alles zusammenzunehmen, Lebensmittel im weitesten Sinne dieses Wortes für die Bevölkerung aller Schichten und Alter herstellen. Zweitens musste

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[1] Man sehe ein derartiges Beispiel dafür bei dem „Vorwärts”-Rezensenten meines Buches, G. Eckstein, der nach einleitenden wichtigen Versprechungen, den Leser über das gesellschaftliche Bedürfnis zu belehren, sich ein paarmal hilflos wie die Katze um den eigenen Schwanz herumdreht, ohne vom Fleck zu kommen, und schließlich erklärt, die Sache sei „keineswegs einfach und leicht”. (Gustav Eckstein: Die Akkumulation des Kapitals. In: Vorwärts (Berlin), Nr. 40 vom 16. Februar 1913.) Das stimmt. Ein paar schnoddrige Redensarten sind viel einfacher und leichter.