Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 419

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trotzdem für sie subjektiv nur das Profitinteresse als maßgebender Zweck in Betracht kommt, objektiv die materiellen Bedürfnisse der Gesellschaft befriedigen muß und sie jenen subjektiven Zweck nur dadurch und nur in dem Maße erreichen kann, als sie dieser objektiven Aufgabe genügt. Die kapitalistischen Waren können nur dann und insofern verkauft, der in ihnen steckende Profit nur so weit zu Geld gemacht werden, als diese Waren das gesellschaftliche Bedürfnis befriedigen. Die stetige Erweiterung der kapitalistischen Produktion, d. h. die stetige Akkumulation des Kapitals, ist also gebunden an eine ebenso stetige Erweiterung des gesellschaftlichen Bedürfnisses.

Aber was ist das gesellschaftliche Bedürfnis? Läßt es sich irgendwie genauer fassen, ist es irgendwie meßbar, oder sind wir hier nur auf den vagen Begriff angewiesen?

Betrachtet man die Sache so, wie sie sich zunächst an der Oberfläche des wirtschaftlichen Lebens in der täglichen Praxis, d. h. vom Standpunkte des einzelnen Kapitalisten darbietet, so ist sie in der Tat unfaßbar. Ein Kapitalist produziert und verkauft Maschinen. Seine Abnehmer sind andere Kapitalisten, die ihm seine Maschinen abkaufen, um damit wieder kapitalistisch andere Waren zu produzieren. Jener kann also desto mehr seine Waren absetzen, je mehr diese ihre Produktion erweitern, er kann um so rascher akkumulieren, je mehr andere in ihren Produktionszweigen akkumulieren. Hier wäre „das gesellschaftliche Bedürfnis“, an das unser Kapitalist gebunden ist, der Bedarf anderer Kapitalisten, die Voraussetzung seiner Produktionserweiterung – die der ihrigen. Ein anderer produziert und verkauft Lebensmittel für die Arbeiter. Er kann sie um so mehr verkaufen, also um so mehr Kapital akkumulieren, je mehr Arbeiter bei anderen Kapitalisten (und auch bei ihm selbst) beschäftigt sind oder, mit anderen Worten, je mehr andere Kapitalisten produzieren und akkumulieren. Wovon hängt es aber ab, ob die „anderen“ ihre Betriebe erweitern können? Augenscheinlich wiederum davon, ob „diese“ Kapitalisten, ob z. B. die Produzenten der Maschinen, der Lebensmittel ihnen in steigendem Maße ihre Waren abnehmen. Das „gesellschaftliche Bedürfnis“, von dem die Kapitalakkumulation abhängig ist, scheint so bei näherem Zusehen die Kapitalakkumulation selbst zu sein. Je mehr das Kapital akkumuliert, desto mehr akkumuliert es – auf diese leere Tautologie oder diesen schwindelerregenden Zirkel scheint die nähere Betrachtung hinauszulaufen. Wo hier der Anfang, die Initiative des Impulses liegen soll, ist nicht abzusehen. Wir drehen uns offenbar im Kreise, und das Problem zerrinnt uns unter den Händen. Das tut es auch in der Tat, aber nur so-

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