Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 417

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ohne sie darstellen und begreifen. Wenn Marx im Abschnitt seines „Kapitals“ über die Reproduktion des gesellschaftlichen Gesamtkapitals mathematische Schemata konstruierte, wie hundert Jahre vor ihm Quesnay, der Schöpfer der Physiokratenschule[1] und der Nationalökonomie als exakte Wissenschaft, so diente dies beiden lediglich zur Erleichterung und Verdeutlichung der Darlegungen. Es diente auch Marx wie Quesnay zur Veranschaulichung der Tatsache, daß es sich bei den Vorgängen des wirtschaftlichen Lebens in der bürgerlichen Gesellschaft trotz seiner wirren Oberfläche und scheinbarer Herrschaft der individuellen Willkür im Grunde um ebenso streng gesetzmäßige Zusammenhänge handelt wie etwa bei den Vorgängen der physischen Natur. Da nun meine Ausführungen über die Akkumulation sowohl auf der Marxschen Darstellung fußten wie kritisch sich mit ihr auseinandersetzten, da Marx speziell in der Akkumulationsfrage eben nicht über die Aufstellung einiger Schemata und den Anfang ihrer Analyse hinausgegangen ist, was gerade den Ansatzpunkt meiner Kritik bildete, so mußte auch ich selbstverständlich auf die Marxschen Schemata eingehen. Einmal, weil ich sie aus der Marxschen Darlegung nicht willkürlich ausschalten durfte, dann aber, um gerade das Unzureichende jener Beweisführung klarzulegen.

Versuchen wir nun, das Problem in der allereinfachsten Form ohne alle mathematischen Formeln zu fassen.

Die kapitalistische Produktionsweise wird beherrscht von dem Profitinteresse. Für jeden Kapitalisten hat die Produktion nur dann Sinn und Zweck, wenn sie dazu führt, ihm jahraus, jahrein die Taschen mit „reinem Einkommen“ zu füllen, d. h. mit Profit, der über alle seine Kapitalauslagen hinaus übrigbleibt. Aber das Grundgesetz der kapitalistischen Produktion im Unterschied von jeder anderen auf Ausbeutung beruhenden Wirtschaftsform ist nicht bloß Profit in blankem Gold, sondern stets wachsender Profit. Zu diesem Zwecke verwendet der Kapitalist, wiederum im kardinalen Unterschied von anderen geschichtlichen Typen des Ausbeuters, die Frucht seiner Ausbeutung nicht ausschließlich und nicht einmal in erster Linie zum persönlichen Luxus, sondern in fortschreitendem Maße zur Steigerung der Ausbeutung selbst. Der größte Teil des erzielten Profits wird wieder zum Kapital geschlagen, zur Erweiterung der Produktion verwendet. Das Kapital häuft sich so an, es wird nach dem Marxschen Ausdruck „akkumuliert“, und als Voraussetzung sowohl wie als Folge der Akkumulation dehnt sich die kapitalistische Produktion immer mehr aus.

Um dies zu bewerkstelligen, ist jedoch guter Wille der Kapitalisten

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[1] Siehe S. 9, Fußnote 1.