Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 396

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Vorstöße Italiens in Assab und Massaua, der abessinische Krieg und die Bildung Eritreas[1], die englischen Eroberungen in Südafrika[2] – alle diese Schritte folgten sich in einer ununterbrochenen Kette die 80er Jahre hindurch. Der Konflikt zwischen Italien und Frankreich wegen der Interessensphäre in Tunis war das charakteristische Vorspiel zu dem franko-italienischen Zollkrieg sieben Jahre später, der als drastischer Epilog die freihändlerische Interessenharmonie auf dem europäischen Kontinent abgeschlossen hat.[3] Die Monopolisierung der nichtkapitalistischen Expansionsgebiete im Innern der alten kapitalistischen Staaten wie draußen in den überseeischen Ländern wurde zur Losung des Kapitals, während der Freihandel, die Politik der „offenen Tür“ zur spezifischen Form der Schutzlosigkeit nichtkapitalistischer Länder gegenüber dem internationalen Kapital und des Gleichgewichts dieses konkurrierenden Kapitals geworden ist, zum Vorstadium ihrer partiellen oder gänzlichen Okkupation als Kolonien oder Interessensphären. Wenn England allein bisher dem Freihandel treu geblieben ist, so hängt das in erster Linie damit zusammen, daß es als ältestes Kolonialreich in seinem gewaltigen Besitz an nichtkapitalistischen Gebieten von Anfang an eine Operationsbasis fand, die seiner Kapitalakkumulation bis in die jüngste Zeit fast schrankenlose Aussichten bot und es tatsächlich außerhalb der Konkurrenz anderer kapitalistischen Länder stellte. Daher der allgemeine Drang der kapitalistischen Länder, sich voneinander durch Schutzzölle abzusperren, obwohl sie zugleich füreinander in immer höherem Maße Warenabnehmer, aufeinander bei der Erneuerung ihrer sachlichen Reproduktionsbedingungen immer mehr angewiesen sind und obwohl die Schutzzölle heute, vom Standpunkte der technischen Entwicklung der Produktivkräfte, völlig entbehrlich geworden sind, ja vielfach umgekehrt zur künstlichen Konservierung veralteter Produktionsweisen führen. Der innere Widerspruch der internationalen Schutzzollpolitik ist, gleich dem widerspruchsvollen Charakter des internationalen Anleihesystems, bloß ein Reflex des geschichtlichen Widerspruchs, in den

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[1] 1882 hatte Italien die Bucht von Assab, 1884 die Stadt Massaua annektiert. Beide Gebiete wurden 1890 von Italien zur Kolonie Eritrea zusammengeschlossen und bildeten die Ausgangsbasis mn Krieg gegen Äthiopien, der 1896 mit der Niederlage Italiens endete. Im Friedensvertrag von Addis Abeba mußte Italien 1896 die Unabhängigkeit Äthiopiens anerkennen.

[2] Großbritannien annektierte 1879 das Sulu-, 1885 das Betschuana- und 1887 das Nordsomaliland, von 1885 bis 1895 Rhodesien, Njassaland und Kenia sowie 1890 bis 1896 Uganda. Der Ring um die Burenrepubliken war damit geschlossen worden. (Siehe S. 362, Fußnote 1.)

[3] Die italienische Bourgeoisie erhob Ansprüche auf Tunis, das jedoch 1881 von Frankreich besetzt wurde. Die Beziehungen zwischen Frankreich und Italien verschärften sich danach, und 1887 kam es zwischen beiden Staaten zu einem Zollkrieg, durch den die italienische Wirtschaft schwer geschädigt wurde.