Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 397

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die Interessen der Akkumulation, d. h. der Realisierung und Kapitalisierung des Mehrwerts, der Expansion, zu den reinen Standpunkten des Warenaustausches geraten sind.

Letzteres findet namentlich darin seinen handgreiflichen Ausdruck, daß das moderne Hochschutzzollsystem – entsprechend der kolonialen Expansion und den verschärften Gegensätzen innerhalb des kapitalistischen Milieus – wesentlich auch als Grundlage der verstärkten Militärrüstungen inauguriert wurde. In Deutschland wie in Frankreich, Italien und Rußland wurde die Umkehr zum Schutzzoll Hand in Hand mit Heeresvergrößerungen und in deren Dienste durchgeführt, als Basis des gleichzeitig begonnenen Systems des europäischen Wettrüstens erst zu Lande und dann auch zu Wasser. Der europäische Freihandel, dem das kontinentale Militärsystem mit dem Schwerpunkt im Landheer entsprach, hat dem Schutzzoll als der Basis und Ergänzung des imperialistischen Militärsystems, bei dem der Schwerpunkt immer mehr in der Flotte liegt, den Platz geräumt.

Die kapitalistische Akkumulation hat somit als Ganzes, als konkreter geschichtlicher Prozeß, zwei verschiedene Seiten. Die eine vollzieht sich in der Produktionsstätte des Mehrwerts – in der Fabrik, im Bergwerk, auf dem landwirtschaftlichen Gut – und auf dem Warenmarkt. Die Akkumulation ist, von dieser Seite allein betrachtet, ein rein ökonomischer Prozeß, dessen wichtigste Phase zwischen dem Kapitalisten und dem Lohnarbeiter sich abspielt, der sich aber in beiden Phasen: im Fabrikraum wie auf dem Markt, ausschließlich in den Schranken des Warenaustausches, des Austausches von Äquivalenten bewegt. Friede, Eigentum und Gleichheit herrschen hier als Form, und es bedurfte der scharfen Dialektik einer wissenschaftlichen Analyse, um zu enthüllen, wie bei der Akkumulation Eigentumsrecht in Aneignung fremden Eigentums, Warenaustausch in Ausbeutung, Gleichheit in Klassenherrschaft umschlagen.

Die andere Seite der Kapitalakkumulation vollzieht sich zwischen dem Kapital und nichtkapitalistischen Produktionsformen. Ihr Schauplatz ist die Weltbühne. Hier herrschen als Methoden Kolonialpolitik, internationales Anleihesystem, Politik der Interessensphären, Kriege. Hier treten ganz unverhüllt und offen Gewalt, Betrug, Bedrückung, Plünderung zutage, und es kostet Mühe, unter diesem Wust der politischen Gewaltakte und Kraftproben die strengen Gesetze des ökonomischen Prozesses aufzufinden.

Die bürgerlich-liberale Theorie faßt nur die eine Seite: die Domäne des „friedlichen Wettbewerbs“, der technischen Wunderwerke und des reinen

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