Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 395

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Gegen diese Erklärung sprechen die Tatsachen, daß in Deutschland wie in Frankreich und Italien bei der Umkehr zum Schutzzoll die führende Rolle den agrarischen Interessen zufiel, die sich nicht gegen die Konkurrenz Englands, sondern gegen die der Vereinigten Staaten richteten, daß im übrigen das Schutzbedürfnis für die aufkommende einheimische Industrie in Rußland sich z. B. viel stärker gegen Deutschland, in Italien aber gegen Frankreich richtete als gegen England. Die allgemeine dauernde Depression auf dem Weltmarkt, die sich seit der Krise der 70er Jahre hinzog und die Stimmung für den Schutzzoll vorbereitet hatte, war ebensowenig mit Englands Monopol verbunden. Die allgemeine Ursache der schutzzöllnerischen Frontänderung lag denn auch tiefer. Der reine Standpunkt des Warenaustausches, dem die freihändlerische Illusion der Interessenharmonie auf dem Weltmarkt entstammte, ist aufgegeben worden, sobald das großindustrielle Kapital in den wichtigsten Ländern des europäischen Kontinents so weit Fuß gefaßt hatte, um sich auf seine Akkumulationsbedingungen zu besinnen. Diese aber schoben gegenüber der Gegenseitigkeit der Interessen der kapitalistischen Staaten ihren Antagonismus und die Konkurrenz im Kampfe um das nichtkapitalistische Milieu in den Vordergrund.

Als die Freihandelsära anhub, wurde Ostasien erst durch die Chinakriege erschlossen, in Ägypten stellte das europäische Kapital die ersten Schritte. In den 80er Jahren setzt parallel mit dem Schutzzoll die Expansionspolitik mit zunehmender Energie ein: Die Okkupation Ägyptens durch England[1], die deutschen Kolonialeroberungen in Afrika[2], die französische Okkupation von Tunis und die Expedition nach Tonking[3], die

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[1] Am 11. Juli 1882 begann die offene militärische Intervention Großbritanniens gegen die ägyptische nationale Befreiungsbewegung. Mit der Besetzung Kairos am 14. September 1882 wurde sie abgeschlossen. Ägypten blieb nominell eine autonome Provinz des Osmanischen Reiches, de facto wurde es britisches Protektorat.

[2] 1884 hatte Deutschland durch sogenannte Schutzverträge Südwestafrika, Kamerun und Togo sowie 1890 Ostafrika als Kolonien in Besitz genommen.

[3] Die militärische Intervention Frankreichs in Vietnam, die 1873/74 mit der Militärexpedition nach Tonking begonnen hatte, fand am 6. Juni 1884 mit dem Patenôtre-Vertrag ihren Abschluß. Vietnam wurde zu einem französischen Protektorat.