Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 389

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durch Pächter in der Art der Steuereinnehmer des Ancien régime eingestrichen, denen der Staat den voraussichtlichen Ertrag der Abgabe im Wege der Auktion für jedes Wilajet (Provinz) einzeln verkauft. Ist der Zehnt einer Provinz von einem einzelnen Spekulanten oder einem Konsortium erstanden, so verkaufen diese den Zehnten jedes einzelnen Sandschaks (Kreises) an andere Spekulanten, die ihren Anteil wiederum einer ganzen Reihe kleinerer Agenten abtreten. Da jeder seine Spesen decken und soviel Gewinn als möglich einstreichen will, so wächst der Zehnt in dem Maße, wie er sich den Bauern nähert, lawinenartig. Hat sich der Pächter in seinen Berechnungen geirrt, so sucht er sich auf Kosten des Bauern zu entschädigen. Dieser wartet, fast immer verschuldet, mit Ungeduld auf den Augenblick, seine Ernte verkaufen zu können; wenn er aber sein Getreide geschnitten hat, muß er mit dem Dreschen oft wochenlang warten, bis es dem Zehntpächter beliebt, sich den ihm gebührenden Teil zu nehmen. Der Zehntpächter, der gewöhnlich Getreidehändler ist, benutzt diese Lage des Bauern, dem die ganze Ernte auf dem Felde zu verfaulen droht, um ihn zu zwingen, ihm die Ernte zu niedrigem Preise zu verkaufen, und weiß sich gegen Beschwerden Unzufriedener die Hilfe der Beamten und besonders der Muktars (Ortsvorsteher) zu sichern.[1]

Dem internationalen Conseil d’Administration de la Dette Publique Ottomane, der u. a. die Steuern von Salz, Tabak, Spirituosen, den Seidenzehnt und die Fischereiabgaben direkt verwaltet, sind die Zehnten als Kilometergarantie oder als Anleihesicherheit mit der jedesmaligen Klausel verpfändet, daß der Conseil an der Stipulierung der Pachtkontrakte betreffs dieser Zehnten teilnimmt und daß die Erträgnisse der Zehnten von den Pächtern direkt in die Kassen und Kontore des Conseil in den Wilajets abgeführt werden. Falls es unmöglich ist, einen Pächter für die Zehnten zu finden, werden sie von der türkischen Regierung in natura in Magazinen aufgespeichert, deren Schlüssel dem Conseil eingehändigt wird, der den Verkauf der Zehnten für eigene Rechnung übernimmt.

Der ökonomische Stoffwechsel zwischen der kleinasiatischen, syrischen und mesopotamischen Bauernschaft und dem deutschen Kapital vollzieht sich also auf folgenden Wegen. Das Korn kommt auf den Fluren der Wilajets Konia, Bagdad, Basra usw. als einfaches Gebrauchsprodukt der primitiven Bauernwirtschaft zur Welt und wandert sogleich als Staatstribut in die Hand des Steuerpächters. Erst in seiner Hand wird das Korn zur Ware und als Ware zu Geld, das in die Hand des Staates übergeht. Dieses Geld, das nur verwandelte Form des bäuerlichen Korns ist, welches nicht

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[1] Siehe Charles Morawitz: Die Türkei Im Spiegel ihrer Finanzen, 1903, S. 84. – [Fußnote im Original]