Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 383

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mußte. Im Oktober 1878 landeten die Vertreter der europäischen Gläubiger in Alexandrien. Eine Doppelkontrolle der Finanzen durch das englische und französische Kapital wurde eingesetzt. Jetzt wurden im Namen der Doppelkontrolle neue Steuern erfunden, die Bauern geprügelt und gepreßt, so daß die 1876 zeitweilig eingestellten Zinsenzahlungen 1877 wieder aufgenommen werden konnten.[1] Nun wurden die Forderungsrechte des europäischen Kapitals zum Mittelpunkt des Wirtschaftslebens und zum einzigen Gesichtspunkt des Finanzsystems. 1878 kam eine neue Kommission und ein halbeuropäisches Ministerium zustande. 1879 kamen die ägyptischen Finanzen unter dauernde Kontrolle des europäischen Kapitals in der Person der Commission de la Dette Publique Egyptienne in Kairo. 1878 wurden die Tschifliks, die Ländereien der vizeköniglichen Familie im Umfange von 431 000 Acres, in Staatsdomänen verwandelt und den europäischen Kapitalisten für die Staatsschuld verpfändet, ebenso die Daira-Ländereien, das Privatgut des Khediven, das meist in Oberägypten gelegen war und 485 131 Acres umfaßte; es ist später an ein Konsortium verkauft worden. Ein großer Teil des sonstigen Grundbesitzes kam in die Hände von kapitalistischen Gesellschaften, namentlich an die Suezkompanie. Die geistlichen Ländereien der Moscheen und der Schulen hat England für die Kosten der Okkupation beschlagnahmt. Eine Militärrevolte der ägyptischen Armee, die von der europäischen Finanzkontrolle ausgehungert wurde, während die europäischen Beamten glänzende Gehälter bezogen, und ein provozierter Aufstand der geweißbluteten Massen in Alexandrien gaben den erwünschten Vorwand zum entscheidenden Schlag. 1882 rückte englisches Militär in Ägypten ein, um es nicht wieder zu verlassen und die Unterwerfung des Landes zum Ergebnis der grandiosen Kapitaloperationen in Ägypten seit zwanzig Jahren und zum Abschluß der Liquidation der ägyptischen Bauernwirtschaft durch das europäische Kapital zu machen.[2] – Hier zeigte sich, daß der bei oberflächlicher Betrach-

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[1] „This produce“, schrieb der Korrespondent der „Times“ aus Alexandrien, „consists wholly of taxes paid by the peasents in kind, and when one thinks of the poverty-stricken, over-driven, under-fed fellaheen in their miserable hovels, working late and early to fill the pockets of the creditors, the punctual payment of the coupon ceases to be wholly a subject of gratification.“ (Zit. bei: Tb. Rothstein: l. c., S. 49.) – [Fußnote im Original]

[2] Eyth, ein hervorragender Agent der Kapitalkultur in den primitiven Ländern, schließt bezeichnenderweise seine meisterhafte Skizze über Ägypten, der wir die Hauptdaten entnommen haben, mit dem folgenden imperialistischen Glaubensbekenntnis: „Was uns diese Vergangenheit lehrt, ist auch für die Zukunft von zwingender Bedeutung: Europa muß und wird, wenn auch nicht ohne Kämpfe jeder Art, in denen sich Recht und Unrecht kaum mehr unterscheiden lassen und in denen das politische und historische Recht oft genug gleichbedeutend sein müßte mit dem Unglück von Millionen, das politische Unrecht gleichbedeutend ist mit ihrer Rettung – Europa muß seine feste Hand auf jene Länder legen, die nicht mehr fähig sind, aus eigener Kraft das Leben unserer Zeit zu leben, und die festeste Hand wird, wie überall in der Welt, auch an den Ufern des Nils den Wirren ein Ende machen.“ (l. c., S. 247.) Wie die „Ordnung“ aussieht, die England „an den Ufern des Nils" schuf, darüber gibt Rothstein, l. c., genügenden Aufschluß. – Im Original mit **.