Je mehr die Verschuldung bei dem europäischen Kapital wuchs, um so mehr mußte aus der Bauernwirtschaft herausgeschlagen werden.[1] 1869 wurden sämtliche Steuern um 10 Prozent erhöht und für 1870 im voraus erhoben. 1870 wurde die Grundsteuer um 8 M pro Hektar erhöht. Die Dörfer in Oberägypten begannen sich zu entvölkern, Hütten wurden eingerissen, man ließ das Land unbebaut, um Steuern zu entgehen. 1876 wurde die Steuer auf Dattelbäume um 50 Pf erhöht. Ganze Dörfer zogen aus, um ihre Dattelbäume umzuhauen, und mußten mit Gewehrsalven davon abgehalten werden. 1879 sollen 10 000 Fellachen oberhalb Siuts vor Hunger umgekommen sein, da sie die Steuer für die Bewässerung ihrer Felder nicht mehr erschwingen konnten und ihr Vieh getötet hatten, um der Viehsteuer zu entgehen.[2]
Jetzt war der Fellah bis auf den letzten Blutstropfen ausgesogen. Der ägyptische Staat hatte seine Funktion als Saugapparat in den Händen des europäischen Kapitals vollendet und ward überflüssig. Der Khedive Ismail wurde verabschiedet. Das Kapital konnte die Liquidation antreten.
1875 hatte England 172 000 Suezkanalaktien für 80 Millionen M gekauft, wofür ihm Ägypten jetzt noch 394 000 ägyptische Pfund Sterling an Zinsen zahlen muß. Englische Kommissionen zur „Ordnung“ der Finanzen Ägyptens traten nun in Aktion. Merkwürdigerweise erbot sich das europäische Kapital, durch den verzweifelten Zustand des bankrotten Landes gar nicht abgeschreckt, zu seiner „Rettung“ immer neue Riesenanleihen zu gewähren. Cave und Stokes schlugen zur Umwandlung aller Schulden eine Anleihe von 1520 Millionen Mark zu 7 Prozent vor, Rivers Wilson hielt 2060 Millionen Mark für erforderlich. Der Crédit Foncier kaufte Millionen schwebender Wechsel auf und versuchte mit einer Anleihe von 1820 Millionen Mark die Gesamtschuld zu konsolidieren, was jedoch fehlschlug. Aber je verzweifelter und unrettbarer die Finanzlage war, um so näher und unentrinnbarer der Augenblick, wo das ganze Land mit all seinen Produktivkräften dem europäischen Kapital in die Krallen fallen
[1] Übrigens wanderte das aus dem ägyptischen Fellah herausgeschundene Geld auch noch auf dem Umweg über die Türkei an das europäische Kapital. Die türkischen Anleihen von 1854, 1855, 1871, 1877 und 1886 sind auf den mehrmals erhöhten ägyptischen Tribut fundiert, der direkt an die Bank von England gezahlt wird. – [Fußnote im Original]
[2] „It is stated by residents In the Delta“, berichtete die „Times“ aus Alexandrien am 31. Mira 1879, „that the third quarter of the year’s taxation is now collected, and the old methods of collection applied. This sounds strangely by the side of the news that people are dying by the roadside, that great tracts of country are uncultivated, because of the fiscal burdens, and that the farmers have sold their cattle, the women their finery, and that the usurers are filling the mortgage offices with their bonds and the courts with their suits of foreclosure.“ (Zit. bei: Th. Rothstein: Egypt's Ruin, 1910, S. 69 f.) – Im Original mit **.