Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 347

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-5/seite/347

moralisierende. Die Grenzlinie zwischen öffentlicher Pflicht und Privatinteressen war von den Gesetzgebern oft aus dem Auge verloren. Große Vermögen wurden gemacht durch Gesetzesveränderungen, die von denselben Leuten verlangt und durchgesetzt wurden, die die Nutznießer der neuen Gesetze waren, und das Land sah mit Bedauern, daß die Ehre und die Ehrlichkeit der Männer der Politik nicht unangetastet blieben.” Und dieser Tarif, der eine ganze Umwälzung im ökonomischen Leben des Landes bedeutete, der zwanzig Jahre lang unverändert gelten sollte und im Grunde genommen bis jetzt die Basis der zollpolitischen Gesetzgebung der Vereinigten Staaten bildet, wurde buchstäblich in 3 Tagen im Kongreß und in 2 Tagen im Senat durchgepeitscht – ohne Kritik, ohne Debatte, ohne jede Opposition.[1]

Mit diesem Umschwung in der Finanzpolitik der Vereinigten Staaten begann die schamlose parlamentarische Korruption der Union, der offene und skrupellose Gebrauch der Wahlen, der Gesetzgebung und der Presse als Werkzeuge nackter Tascheninteressen des Großkapitals. Das Enrichissez-vous wurde zur Losung des öffentlichen Lebens seit dem „edlen Kriege“ um die Befreiung der Menschheit vom „Schandfleck der Sklaverei“; der Negerbefreier-Yankee feierte Orgien als Glücksritter der Spekulation an der Börse, schenkte sich selbst als Gesetzgeber nationale Ländereien, bereicherte sich selbst durch Zölle und Steuern, durch Monopole, Schwindelaktien, Diebstahl des öffentlichen Vermögens. Die Industrie kam in Blüte. Jetzt waren die Zeiten vorbei, wo der kleine und mittlere Farmer fast ohne Bargeld auskommen und seinen Weizenvorrat noch nach Bedarf hie und da dreschen konnte, um ihn zu Geld zu machen. Jetzt mußte der Farmer immer Geld, recht viel Geld haben, um seine Steuern zu zahlen, er mußte bald alles, was er hervorbrachte, verkaufen, um wieder alles, was er brauchte, aus der Hand der Manufakturisten als Ware zu erwerben. „Wenn wir uns der Gegenwart zuwenden“, schreibt Peffer, „so finden wir, daß sich fast alles verändert hat. Im ganzen Westen besonders dreschen alle Farmer ihren Weizen gleichzeitig, sie verkaufen ihn ebenfalls auf einmal. Der Farmer verkauft sein Vieh und kauft frisches Fleisch oder Speck, er verkauft seine Schweine und kauft Schinken und Schweinefleisch, er verkauft sein Gemüse und Obst und kauft sie wieder in Form der Konserven. Wenn er überhaupt Flachs baut, so drischt er den Flachs, anstatt ihn zu verspinnen, sodann Leinwand daraus zu weben und Wäsche für

Nächste Seite »



[1] „The necessity of the situation, the critical state of the country, the urgent need of revenue, may have justified this haste, which, it is safe to say, is unexampled in the history of civilized countries.“ (Taussig : I. c., S. 168.) – Im Original mit *.