Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 345

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Winterszeit verfertigte der Zimmermann aus der Nachbarschaft Fensterkreuze, Decken, Türen, Simse und Gebälke für die nächste Saison. Waren die Herbstfröste gekommen, dann saß der Schuhmacher in der Wohnung des Farmers im Winkel und verfertigte für die Familie Schuhe. Alles dies wurde zu Hause gemacht, und ein großer Teil der Ausgaben wurde mit Produkten der Farm bezahlt. Wenn der Winter kam, war es Zeit, sich mit Fleisch zu versehen; dieses wurde zubereitet und geräuchert aufbewahrt. Der Obstgarten lieferte Obst zum Most, zum Apfelmus und zu allerlei Konserven, vollauf genügend für den Bedarf der Familie während des Jahres und darüber hinaus. Der Weizen wurde allmählich nach Bedarf gedroschen, gerade soviel, wie man Bargeld brauchte. Alles wurde aufbewahrt und verbraucht. Eine der Folgen derartiger Wirtschaftsweise war, daß man verhältnismäßig wenig Geld brauchte, um das Geschäft zu führen. Im Durchschnitt dürften hundert Dollar für die größte Farm genügt haben, um Knechte zu dingen, Ackergeräte zu reparieren und andere zufällige Ausgaben zu decken.“[1]

Dieses Idyll sollte nach dem Sezessionskriege ein jähes Ende finden. Die enorme Staatsschuld von 6 Milliarden Dollar, die er der Union aufgebürdet hatte, zog eine starke Erhöhung der Steuerlasten nach sich. Namentlich beginnt aber seit dem Kriege eine fieberhafte Entwicklung des modernen Verkehrswesens, der Industrie, besonders der Maschinenindustrie, unter Beihilfe des steigenden Schutzzolls. Zur Ermunterung des Eisenbahnbaus und der Besiedelung des Landes mit Farmern wurden den Eisenbahngesellschaften großartige Schenkungen aus nationalen Ländereien gemacht: 1867 allein haben sie über 74 Millionen Hektar Landes bekommen. Das Eisenbahnnetz wuchs denn auch in beispielloser Weise. 1860 betrug es noch nicht 50 000 Kilometer, 1870 über 85 000, 1880 aber mehr als 150 000 (in derselben Zeit, von 1870 bis 1880, wuchs das gesamte Eisenbahnnetz Europas von 130 000 auf 169 000 Kilometer). Die Eisenbahnen und die Bodenspekulanten riefen eine massenhafte Einwanderung aus Europa nach den Vereinigten Staaten herbei. Die Einwanderung betrug in den 23 Jahren 1869 bis 1892 mehr als 41/2 Millionen Menschen. Im Zusammenhang damit emanzipierte sich die Union nach und nach von der europäischen, hauptsächlich englischen Industrie und schuf eigene Manufakturen, eine eigene Textil-, Eisen-, Stahl- und Maschinenindustrie. Am raschesten wurde die Landwirtschaft revolutioniert. Bereits in den ersten

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[1] W. A. Peffer: The Farmer’s side. His troubles and their remedy, Teil II: How we got here, Kapitel I: Changed condition of the Farmer, New York 1891, S. 56 f. Vgl. auch A. M. Simons: The American Farmer, 2. Aufl., Chicago 1906, S. 74 ff. – [Fußnote im Original]