Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 330

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vorlage auftreten ... Die Herstellung des Privateigentums, die Ansiedelung europäischer Kolonisten inmitten der arabischen Geschlechter ..., das werden die sichersten Mittel zur Beschleunigung des Auflösungsprozesses der Geschlechtsverbände sein.“[1] Das Gesetz vom Jahre 1863 schuf zum Zwecke der Aufteilung der Ländereien besondere Kommissionen, die folgendermaßen zusammengesetzt waren: ein Brigadegeneral oder Hauptmann als Vorsitzender, ferner ein Unterpräfekt, ein Beamter der arabischen Militärbehörden und ein Beamter der Domänenverwaltung. Diesen geborenen Kennern wirtschaftlicher und sozialer Verhältnisse Afrikas wurde die dreifache Aufgabe gestellt: erst die Grenzen der Geschlechtergebiete genau abzustecken, dann das Gebiet jedes einzelnen Geschlechts unter seine einzelnen Zweige oder Großfamilien aufzuteilen und endlich auch diese Großfamilienländereien in einzelne Privatparzellen zu zerschlagen. Der Feldzug der Brigadegeneräle ins Innere Algeriens wurde pünktlich ausgeführt, die Kommissionen begaben sich an Ort und Stelle, wobei sie Feldmesser, Landaufteiler und obendrein Richter in allen Landstreitigkeiten in einer Person waren. Der Generalgouverneur von Algerien sollte die Aufteilungspläne in letzter Instanz bestätigen. Nachdem die Kommissionen 10 Jahre lang im Schweiße ihres Angesichts gearbeitet hatten, war das Resultat folgendes: Von 1863 bis 1873 wurden von den 700 arabischen Geschlechtergebieten zirka 400 unter die Großfamilien aufgeteilt. Schon hier wurde zur künftigen Ungleichheit, zum Großgrundbesitz und zur kleinen Parzelle der Grund gelegt. Denn je nach der Größe des Gebietes und der Zahl der Mitglieder eines Geschlechts entfiel pro Mitglied bald 1 bis 4 Hektar, bald 100 und selbst 180 Hektar Land. Die Aufteilung blieb jedoch bei den Großfamilien stehen. Die Aufteilung des Familiengebietes begegnete trotz aller Brigadegeneräle unüberwindlichen Schwierigkeiten in den Sitten der Araber. Der Zweck der französischen Politik: die Schaffung des individuellen Eigentums und dessen Überführung in den Besitz der Franzosen, war also wieder einmal im großen und ganzen gescheitert.

Erst die Dritte Republik, das unumwundene Regiment der Bourgeoisie, hat den Mut und den Zynismus gefunden, alle Umschweife auf die Seite zu legen und ohne die vorbereitenden Schritte des Zweiten Kaiserreichs die Sache vom anderen Ende anzugreifen. Die direkte Aufteilung der Gebiete aller 700 arabischen Geschlechter in individuelle Anteile, eine

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[1] Zit. bei: Kowalewskl: I. c., S. 217. Bekanntlich ist in Frankreich seit der großen Revolution Mode, jede Opposition gegen die Regierung als offene oder versteckte Verteidigung des „Feudalismus“ zu bezeichnen. – [Fußnote im Original]