Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 324

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breiteten. Auf großen Flüssen gab es solcher Schleusen 30–40 Stück ... Das Regenwasser, das von den Bergen hinabfloß, wurde in besonders zu diesem Behufe gebauten Teichen gesammelt, von denen viele bis jetzt 15 bis 25 Meilen im Umkreis haben. Diese gigantischen Konstruktionen waren fast alle vor dem Jahre 1750 vollendet. In der Epoche der Kriege der Kompanie mit den mongolischen Herrschern und, wir müssen hinzufügen, während der ganzen Periode unserer Herrschaft in Indien sind sie in großen Verfall geraten.“[1]

Ganz natürlich: Für das englische Kapital kam es nicht darauf an, die indischen Gemeinwesen lebensfähig zu erhalten und wirtschaftlich zu stützen, sondern im Gegenteil, sie zu zerstören, ihnen die Produktivkräfte zu entreißen. Die rasch zugreifende ungestüme Gier der Akkumulation, die ihrem ganzen Wesen nach von „Konjunkturen“ lebt und nicht an den morgigen Tag zu denken imstande ist, kann den Wert der alten wirtschaftlichen Kulturwerke von weitsichtigerem Standpunkt nicht einschätzen. In Ägypten zerbrachen sich kürzlich die englischen Ingenieure, als sie für die Zwecke des Kapitals am Nil Riesenstauwerke errichten sollten, den Kopf, um die Spuren jener antiken Kanalsysteme aufzudecken, die sie in ihren indischen Provinzen mit der stupiden Sorglosigkeit von Botokuden hatten gänzlich verfallen lassen. Die Engländer haben das edle Werk ihrer Hände erst einigermaßen zu würdigen gelernt, als die furchtbare Hungersnot, die im Distrikt Orissa allein in einem Jahre eine Million Menschenleben dahingerafft hatte, im Jahre 1867 eine Untersuchung über die Ursachen der Notlage vom englischen Parlament erzwungen hat. Gegenwärtig sucht die englische Regierung die Bauern auf administrativem Wege vor dem Wucher zu retten. Die Punjab Alienation Act (1900) verbietet die Veräußerung oder Belastung des Bauernlandes zugunsten von Angehörigen anderer Kasten als die landbautreibende und macht Ausnahmen im Einzelfalle von der Genehmigung des Steuereinnehmers abhängig.[2] Nachdem sie die schützenden Bande der uralten sozialen Verbände der Hindus planmäßig zerrissen und einen Wucher großgezogen haben, bei dem ein Zinsfuß von 15 Prozent eine gewöhnliche Erscheinung ist, stellen die Engländer den ruinierten und verelendeten indischen Bauer unter die Vormundschaft des Fiskus und seiner Beamten, d. h. unter den „Schutz“ seiner unmittelbaren Blutsauger.

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[1] Historical and descriptive account of British India from the most remote period to the conclusion of the Afghan war by Hugh Murray, James Wilson, Greville, Prof. Jameson, William Wallace and Captain Dalrymple, Bd. II, 4. Aufl., Edinburgh 1843, S. 427. Zit. bei: Kowalewski: I. c. – Im Original mit *.

[2] Siehe Victor v. Leyden: Agrarverfassung und Grundsteuer in Britisch-Ostindien. In: Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft, XXXVI. Jg., Heft 4, S. 1855. – Im Original mit **.