Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 321

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Grundeigentümer war, so wären wir nicht imstande zu sagen: Wer war denn Eigentümer?“[1] Demgemäß verwandelten die Engländer schon 1793 in Bengalen alle Samindars, d. h. die vorgefundenen mohammedanischen Steuerpächter oder auch die erblichen Marktvorsteher in ihren Bezirken in Grundbesitzer dieser Bezirke, um sich auf diese Weise einen starken Anhang im Lande bei ihrem Feldzuge gegen die Bauernmasse zu schaffen. Genauso verfuhren sie auch später bei neuen Eroberungen, in der Provinz Agra, in Oudh, in den Zentralprovinzen. Die Folge war eine Reihe von stürmischen Bauernaufständen, bei denen die Steuereinnehmer häufig vertrieben wurden. In der allgemeinen Verwirrung und Anarchie, die dabei entstand, wußten englische Kapitalisten einen ansehnlichen Teil der Ländereien in ihre Hände zu bringen.

Ferner wurde die Steuerlast so rücksichtslos erhöht, daß sie fast die ge-

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[1] Nachdem er in seiner Geschichte Britisch-Indiens die Zeugnisse aus den verschiedensten Quellen, aus Mungo Park, Herodot, Volney, Acosta, Garcilaso de la Vega, Abbé Grosier, Barrow, Diodorus, Strabo u. a., wahllos und kritiklos zusammengeschleppt hat, um den Satz zu konstruieren, daß in primitiven Verhältnissen der Grund und Boden stets und überall Eigentum des Herrschers war, zieht Mill durch Analogie auch für Indien den folgenden Schluß: „From these facts only one conclusion can be drawn, that the property of the soil resided in the sovereign; for if it did not reside in him, it will be impossible to show to whom it belonged.“ (James Mill: The History of British India, Bd. I, 4. Aufl., 1840, S. 311.) Zu dieser klassischen Schlußfolgerung des bürgerlichen Ökonomen gibt sein Herausgeber H. H. Wilson, der als Professor des Sanskrit an der Universität In Oxford genauer Kenner der altindischen Rechtsverhältnisse war, einen interessanten Kommentar. Nachdem er schon in der Vorrede seinen Autor als einen Parteigänger charakterisiert, der die ganze Geschichte Britisch-Indiens zur Rechtfertigung der theoretical views of Mr. Bentham zurechtgestutzt und dabei mit zweifelhaftesten Mitteln ein Zerrbild des Hinduvolkes gezeichnet hätte (a portrait of the Hindus which has no resemblance whatever to the original, and which almost outrages humanity), macht er hier die folgende Fußnote: „The greater part of the text and of the notes here is wholly irrelevant. The illustrations drawn from Mahometan practice, supposing them to be correct, have nothing to do with the laws and rights of the Hindus. They are not, however, even accurate, and Mr. Mill’s guides have misled him.“ Wilson bestreitet dann rundweg speziell in bezug auf Indien die Theorie von dem Eigentumsrecht des Souveräns auf Grund und Boden. (Siehe I. c., S. 305, Fußnote.) Auch Henry Maine meint, daß die Engländer ihren anfänglichen Anspruch auf den gesamten Grundbesitz in Indien, den Maine wohl als grundfalsch erkennt, von ihren muselmännischen Vorgängern übernommen hätten: „The assumption which the English first made was one which they Inherited from their Mahometan predecessors. It was, that all the soil belonged in absolute property to the sovereign, and that all private property in land existed by his sufferance. The Mahometan theory and the corresponding Mahometan practice had put out of sight the ancient view of the sovereign’s rights, which, though it assigned to him a far larger share of the produce of the land than any western ruler has ever claimed, yet in nowise denied the existance of private property in land“ (Village communities in the East and West; 5. Aufl., 1890, S. 104). Maxim Kowalewski hat demgegenüber gründlich nachgewiesen, daß die angebliche „muselmännische Theorie und Praxis“ bloß eine englische Fabel war. (Siehe seine ausgezeichnete Studie in russischer Sprache: Das Gemeineigentum an Grund und Boden. Ursachen, Verlauf und Folgen seiner Zersetzung, Teil I, Moskau 1879.) Die englischen Gelehrten wie übrigens auch ihre französischen Kollegen halten jetzt zum Beispiel an einer analogen Fabel in bezug auf China fest, indem sie behaupten, alles Land sei dort Eigentum der Kaiser gewesen. (Siehe die Widerlegung dieser Legende bei Dr. O. Franke: Die Rechtsverhältnisse am Grundeigentum in China, 1903.) – Im Original mit *.