Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 267

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schnitt der Konjunkturen durch lauter Abweichungen, durch Preisschwankungen täglich und durch Krisen periodisch wird ja die „Proportionalität“ immer wieder eingerenkt. Daß sie im ganzen schlecht oder recht tatsächlich eingehalten wird, beweist der Umstand, daß die kapitalistische Wirtschaft fortbesteht und sich entwickelt, sonst hätten wir längst ein Tohuwabohu und den Zusammenbruch erlebt. Im Durchschnitt, im Endresultat wird also die Tugansche Proportionalität eingehalten, woraus zu schließen, daß die Wirklichkeit sich nach „Schema Nr. 2“ richtet. Und weil dieses Schema sich unendlich weiterführen läßt, so kann auch die Kapitalakkumulation ad infinitum fortschreiten.

Auffallend ist bei alledem nicht das Resultat, zu dem Tugan-Baranowski gelangt, nämlich die Annahme, daß das Schema tatsächlich dem Gang der Dinge entspricht – wir sahen, daß auch Bulgakow diesen Glauben teilte –, sondern der Umstand, daß Tugan nicht einmal für nötig hält, die Frage danach zu stellen, ob denn das „Schema“ stimmt, daß er, statt das Schema zu beweisen, umgekehrt das Schema selbst, die arithmetische Übung auf dem Papier, für einen Beweis betrachtet, daß auch in Wirklichkeit die Dinge sich so verhalten. Bulgakow suchte das Marxsche Schema mit ehrlicher Mühe auf die wirklichen konkreten Verhältnisse der kapitalistischen Wirtschaft und des kapitalistischen Austausches zu projizieren, suchte sich durch die Schwierigkeiten, die sich daraus ergaben, durchzuringen, was er freilich nicht fertiggebracht hat und wobei er schließlich in der Analyse von Marx steckenblieb, die er selbst mit voller Klarheit als unfertig, abgebrochen ansah. Tugan-Baranowski braucht gar keine Beweise, er zerbricht sich nicht viel den Kopf : Da sich die arithmetischen Proportionen zur Zufriedenheit lösen und nach Belieben fortsetzen lassen, so ist ihm das just ein Beweis, daß sich die kapitalistische Akkumulation – vorbehaltlich der bewußten „Proportionalität“, die aber, wie auch Tugan nicht bestreiten wird, vorn oder hinten doch hineinkommt – ebenso restlos und unendlich fortwinden könne.

Tugan-Baranowski hat freilich einen indirekten Beweis, daß das Schema mit seinen seltsamen Ergebnissen der Wirklichkeit entspricht, ihr treues Spiegelbild darstellt. Das ist die Tatsache, daß in der kapitalistischen Gesellschaft, ganz im Einklang mit dem Schema, die menschliche Konsumtion hinter die Produktion gesetzt, jene zum Mittel, diese zum Selbstzweck wie auch menschliche Arbeit der „Arbeit“ der Maschine gleichgesetzt werde: „Der technische Fortschritt gelangt darin zum Ausdruck, daß die Bedeutung der Arbeitsmittel, der Maschine immer mehr, im Vergleich mit der lebendigen Arbeit, dem Arbeiter selbst, zunimmt. Die Produktions-

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