Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 261

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weit über das nationale Bedürfnis hinausgewachsen ist und dauernd Oberschüsse liefert, die auf fremden Konsumtionsgebieten ihre Verwertung finden müssen. Aber das Nebeneinanderbestehen solcher Industrie- und Rohproduktionsländer, die gegenseitig aufeinander angewiesen sind, diese ‚internationale Arbeitsteilung‘ ist nicht als ein Zeichen anzusehen, daß die Menschheit eine neue Stufe der Entwicklung zu erklimmen im Begriffe steht, die unter dem Namen der Weltwirtschaft den ... früheren Stufen gegenübergestellt werden müßte. Denn einerseits hat keine Wirtschaftsstufe volle Selbstherrlichkeit der Bedürfnisbefriedigung auf die Dauer garantiert; jede ließ ... gewisse Lücken bestehen, die so oder so ausgefüllt werden mußten. Andererseits hat jene sogenannte Weltwirtschaft bis jetzt wenigstens keine Erscheinungen hervortreten lassen, die von denen der Volkswirtschaft in wesentlichen Merkmalen abweichen, und es steht sehr zu bezweifeln, daß solche in absehbarer Zukunft auftreten werden.“[1] Bei Bulgakow ergibt sich aus dieser Auffassung jedenfalls ein unerwarteter Schluß: Seine Theorie von der schrankenlosen Entwicklungsfähigkeit des Kapitalismus wird nur auf gewisse Länder mit günstigen Naturbedingungen beschränkt. In England muß der Kapitalismus in absehbarer Zeit an der Erschöpfung des Weltmarktes zugrunde gehen, in den Vereinigten

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[1] K. Bücher: Entstehung der Volkswirtschaft, 5. Aufl., S. 147. Die neueste Leistung auf diesem Gebiete ist die Theorie des Professors Sombart, wonach wir nicht in die Weltwirtschaft hineinwachsen, sondern gar umgekehrt uns immer mehr von ihr entfernen: „Die Kulturvölker, so behaupte ich vielmehr, sind heute (im Verhältnis zu ihrer Gesamtwirtschaft) nicht wesentlich mehr, sondern eher weniger durch Handelsbeziehungen untereinander verknüpft. Die einzelne Volkswirtschaft ist heute nicht mehr, sondern eher weniger in den Weltmarkt einbezogen als vor hundert oder fünfzig Jahren. Mindestens aber ... ist es falsch anzunehmen, daß die internationalen Handelsbeziehungen eine verhältnismäßig wachsende Bedeutung für die moderne Volkswirtschaft gewinnen. Das Gegenteil ist richtig.“ Sombart wendet sich mit Hohn gegen die Annahme einer zunehmenden internationalen Arbeitsteilung, eines steigenden Bedürfnisses nach auswärtigen Absatzmärkten, dieweil der inländische Markt einer Ausdehnung nicht fähig sei; Sombart seinerseits ist überzeugt, daß „die einzelnen Volkswirtschaften immer vollkommenere Mikrokosmen werden und daß der innere Markt für alle Gewerbe den Weltmarkt immer mehr an Bedeutung überflügelt“. (Die deutsche Volkswirtschaft im Neunzehnten Jahrhundert, 2. Aufl., 1909, S. 399–420.) – Diese niederschmetternde Entdeckung setzt freilich voraus, daß man das bizarre, von dem Herrn Professor erfundene Schema annimmt, wonach als Ausfuhrland – man weiß nicht, weshalb – einzig und allein dasjenige Land gelten soll, das seine Einfuhr mit dem Überschuß an landwirtschaftlichen Produkten über den eigenen Bedarf, „mit Boden“ bezahlt. Nach diesem Schema sind Rußland, Rumänien, die Vereinigten Staaten, Argentinien „Ausfuhrländer“, Deutschland aber, England, Belgien nicht. Da die kapitalistische Entwicklung über kurz oder lang den Überschuß an Agrarprodukten auch in den Vereinigten Staaten und in Rußland für den inneren Bedarf in Anspruch nehmen dürfte, so ist es klar, daß es immer weniger „Ausfuhrländer" in der Welt gibt, die Weltwirtschaft verschwindet also. – Eine andere Entdeckung Sombarts ist, daß die großen kapitalistischen Länder, die ja keine „Ausfuhrländer“ sind, ihre Einfuhr immer mehr „umsonst“ kriegen – nämlich als Zinsen der ausgeführten Kapitalien. Für Professor Sombart zählt aber die Kapitalausfuhr ebenso wie die industrielle Warenausfuhr überhaupt nicht: „Mit der Zeit werden wir wohl dahin kommen einzuführen, ohne auszuführen.“ (I. c., S. 422.) Modern, sensationell und gigerlhaft. – [Fußnote im Original]