Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 259

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als direkte Deutung des Marxschen Schemas der erweiterten Reproduktion. Nachdem die kapitalistische Produktionsweise in einem Lande Einzug gehalten hat, fängt ihre innere Bewegung an, sich nach diesem Schema zu entwickeln: „Die Produktion des konstanten Kapitals bildet die Abteilung I der gesellschaftlichen Reproduktion, die schon eine selbständige Nachfrage nach Konsummitteln eröffnet im Umfange des eigenen variablen Kapitals dieser Abteilung I sowie des Konsumtionsfonds ihrer Kapitalisten. Abteilung II ihrerseits eröffnet die Nachfrage nach Produkten I. Auf diese Weise bildet sich schon bei Beginn der kapitalistischen Produktion ein geschlossener Kreis heraus, in dem die kapitalistische Produktion von gar keinem auswärtigen Markt abhängig ist, sondern sich selbst genügt und in dem sie sozusagen automatisch vermittelst der Akkumulation zu wachsen in der Lage ist.“[1] Und an einer anderen Stelle versteigt er sich gar zu der folgenden krassen Formulierung seiner Theorie: „Der einzige Markt für die Produkte der kapitalistischen Produktion ist diese Produktion selbst.“[2]

Man kann die ganze Kühnheit dieser Theorie, die in den Händen der russischen Marxisten zur Hauptwaffe wurde, womit sie ihre Gegner, die „volkstümlerischen“ Skeptiker, in der Frage der Absatzmärkte zur Strecke gebracht haben, nur dann richtig würdigen, wenn man sich vergegenwärtigt, in welchem erstaunlichen Widerspruch sich diese Theorie mit der täglichen Praxis, mit allen bekannten Tatsachen der kapitalistischen Wirklichkeit befindet. Aber noch mehr: Man muß diese Theorie, die mit solchem Triumph als reinste marxistische Wahrheit verkündet wurde, noch mehr bewundern, wenn man bedenkt, daß sie auf einem einfachen kapitalen Quiproquo basiert. Doch auf diese Frage werden wir weiter bei der Besprechung Tugan-Baranowskis eingehen.

Auf dem Mißverständnis über das Verhältnis der Konsumtion zur Produktion in der kapitalistischen Gesellschaft errichtet Bulgakow ferner eine ganz verkehrte Theorie des auswärtigen Handels. Vom Standpunkte der obigen Auffassung der Reproduktion gibt es in der Tat für den auswärtigen Handel keinen Raum. Wenn der Kapitalismus in jedem Lande gleich zu Beginn seiner Entwicklung jenen bewußten „geschlossenen Zirkel“ herausbildet, in dem er sich wie eine Katze um den eigenen Schwanz dreht und „sich selbst genügt“, für sich selbst schrankenlos einen Absatz schafft und sich selbst Stachel zur Erweiterung ist, dann ist jedes kapitalistische Land ökonomisch auch ein abgeschlossenes, „sich selbst genügendes“ Gan-

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[1] l. c., S. 210. Von uns hervorgehoben. – [Fußnote im Original]

[2] l. c., S. 238. – [Fußnote im Original]