Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 241

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tionsmitteln nicht der ganzen Gesellschaft, sondern bloß einzelnen Unternehmern zugute kommt, während eine Masse Arbeitskräfte und Arbeitszeit durch diesen Prozeß „befreit“, überflüssig werden und nicht bloß für die Gesellschaft verlorengehen, sondern ihr sogar zur Last fallen. Wirkliche Bedürfnisse der Volksmasse können nur in dem Maße besser befriedigt werden, als die „volkstümliche“, auf der Vereinigung des Produzenten mit den Produktionsmitteln basierende Produktionsweise das Übergewicht bekommt. Der Kapitalismus hat aber das Bestreben, sich just dieser Produktionssphären zu bemächtigen und so den Hauptfaktor seiner eigenen Blüte zu vernichten. Waren doch z. B. die periodischen Hungersnöte in Indien, die alle zehn oder elf Jahre auftraten, eine der Ursachen der Periodizität der industriellen Krisen in England. In diesen Widerspruch gerät früher oder später jede Nation, die die Bahn der kapitalistischen Entwicklung betreten hat, denn er steckt in dieser Produktionsweise selbst. Je später aber eine Nation die Bahn des Kapitalismus betritt, um so schärfer macht sich der Widerspruch geltend, denn sie kann nach der Sättigung des inneren Marktes keinen Ersatz auf dem auswärtigen finden, da dieser schon von älteren konkurrierenden Ländern mit Beschlag belegt ist.

Aus alledem folgt, daß die Schranken des Kapitalismus durch die steigende Armut gegeben sind, die seine eigene Entwicklung bedingt, durch die wachsende Zahl überzähliger Arbeiter, die gar keine Kaufkraft besitzen. Der zunehmenden Produktivität der Arbeit, die jedes zahlungsfähige Bedürfnis der Gesellschaft außerordentlich rasch befriedigt, entspricht eine zunehmende Unfähigkeit wachsender Volksmassen, ihre dringendsten Bedürfnisse zu befriedigen, dem Überfluß unabsetzbarer Waren – der Mangel breiter Massen an dem Notwendigsten.

Das sind die allgemeinen Ansichten Nikolai-ons.[1] Man sieht: Nikolai-on kennt seinen Marx und hat sich die beiden ersten Bände des „Kapitals“ sehr wohl zunutze kommen lassen. Und doch ist seine ganze Argumentation echt sismondisch: Der Kapitalismus führt selbst zur Verkürzung des inneren Marktes durch die Verelendung der Massen, alles Unheil in der modernen Gesellschaft kommt von der Zerstörung der „volkstümlichen“ Produktionsweise, d. h. des Kleinbetriebes – das sind seine Leitmotive. Das Lob des alleinseligmachenden Kleinbetriebes kommt sogar bei Nikolai-on als der Grundton seiner ganzen Kritik viel deutlicher und offener bei Sismondi zum Ausdruck.[2] Im Schlußresultat ist die Realisie-

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[1] Vgl. Abhandlungen über unsere Volkswirtschaft, namentlich S. 202–205 u. 338–341. – [Fußnote im Original]

[2] Die frappante Ähnlichkeit in der Position der russischen „Volkstümler“ mit der Auffassung Sismondis hat namentlich Wlad. Iljin 1897 in einem Aufsatz „Zur Charakteristik des ökonomischen Romantizismus“ im einzelnen nachgewiesen. [W. I. Lenin: Zur Charakteristik der ökonomischen Romantik. In: Werke, Bd. 2, S. 121–251.] – [Fußnote im Original]