Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 229

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lich seit Tschernyschewski, es bildete die Zentralachse, um die sich eine ganze eigenartige Weltanschauung, die „volkstümlerische“, geformt hatte. Diese Geistesrichtung, die in verschiedenen Abarten und Tendenzen spielte – von den deutlich reaktionären Lehren des Slavophilismus bis zur revolutionären Theorie der terroristischen Partei –, hat in Rußland eine enorme Literatur geschaffen. Einerseits förderte sie ein reiches Material in Einzeluntersuchungen über die Wirtschaftsformen des russischen Lebens zutage, namentlich über die „Volksproduktion“ und ihre eigentümlichen Formen, über die Landwirtschaft der Bauerngemeinde, die bäuerliche Hausindustrie, den „Artel“, sowie auch über das geistige Leben des Bauerntums, das Sektenwesen und dergleichen. Andererseits kam eine eigenartige Belletristik als künstlerischer Reflex der widerspruchsvollen sozialen Verhältnisse auf, in denen Altes mit Neuem rang und auf Schritt und Tritt mit schwierigen Problemen auf den Geist einstürmte. Endlich entsproß derselben Wurzel in den 70er und 80er Jahren eine originelle hausbackene Geschichtsphilosophie, die „subjektive Methode in der Soziologie“, die den „kritischen Gedanken“ zum ausschlaggebenden Faktor der gesellschaftlichen Entwicklung oder genauer: die deklassierte Intelligenz zum Träger des historischen Fortschritts machen wollte und die in Peter Lawrow, Nikolai Michailowski, Professor Karejew, W. Woronzow ihre Wortführer fand.

Von diesem ganzen umfangreichen und weitverzweigten Gebiete der „volkstümlerischen“ Literatur interessiert uns hier lediglich eine Seite: der Meinungskampf um die Aussichten der kapitalistischen Entwicklung in Rußland, und auch dieser nur insofern, als er sich auf allgemeine Erwägungen über die gesellschaftlichen Bedingungen der kapitalistischen Produktionsweise stützte. Denn auch diese Erwägungen sollten in der russischen Streitliteratur der 80er und 90er Jahre eine große Rolle spielen.

Um den russischen Kapitalismus und seine Aussichten handelte es sich zunächst, die daraus entstandene Debatte griff jedoch naturgemäß auf die allgemeinen Probleme der Entwicklung des Kapitalismus über, wobei das Beispiel und die Erfahrungen des Westens die hervorragendste Rolle als Beweismaterial spielten.

Für den theoretischen Inhalt der nun folgenden Diskussion war eine

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