Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 222

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punkte in ihrem Einklang wie in ihrem Widerspruch zusammengefaßt und wo der heillose Wirrwarr zahlloser Bände in zwei Zahlenreihen von verblüffender Einfachheit aufgelöst ist.

Daß bei einer solchen Auffassung von Kapital und Einkommen die kapitalistische Aneignung unerklärlich wird, versteht sich von selbst. Rodbertus erklärt sie denn auch einfach für „Raub“ und verklagt sie vor dem Forum des Eigentumsrechts, dessen schnöde Verletzung sie darstelle. „Wenn also ... diese persönliche Freiheit (der Arbeiter), die rechtlich das Eigentum am Wert des Arbeitsprodukts involviert, infolge des vom Grund- und Kapitaleigentum über die Arbeiter geübten Zwanges in der Praxis wieder zur Entäußerung jenes Eigentumsanspruchs führt – so ist es, als ob eine instinktive Scheu, daß die Geschichte ihre strengen, unerbittlichen Syllogismen daraus ziehen könne, die Besitzer von dem Geständnis dieses großen und allgemeinen Unrechts abhielte.“[1] „Daher ist endlich diese (Rodbertussche) Theorie in allen ihren Einzelheiten ein durchgängiger Beweis, daß jene Lobredner der heutigen Eigentumsverhältnisse, die sich doch wieder nicht entbrechen können, das Eigentum auf die Arbeit zu gründen, mit ihrem eigenen Prinzip im vollständigsten Widerspruch stehen. Sie beweist, daß die heutigen Eigentumsverhältnisse gerade auf einer allgemeinen Verletzung dieses Prinzips beruhen und daß jene großen individuellen Vermögen, die sich heute in der Gesellschaft anhäufen ..., mit jedem neugeborenen Arbeiter den schon von alters her sich in der Gesellschaft anhäufenden Raub vergrößern.“[2] Und ist der Mehrwert so zum „Raub“ erklärt worden, so erscheint die steigende Mehrwertrate als „ein merkwürdiger Fehler in der heutigen nationalökonomischen Organisation“.[3] Proudhon hat in seinem ersten Pamphlet wenigstens den paradoxen und rohen, aber revolutionär klingenden Satz Brissots ausgesponnen: Eigentum ist Diebstahl. Rodbertus beweist, daß das Kapital ein Diebstahl am Eigentum sei. Man vergleiche damit im ersten Bande des Marxschen „Kapitals“ das Kapitel über den Umschlag der Eigentumsgesetze in Gesetze der kapitalistischen Aneignung, das ein Meisterstück historischer Dialektik bietet, und man wird wieder einmal die „Priorität“ Rodbertus’ konstatieren können. Jedenfalls hat sich Rodbertus durch seine Deklamationen gegen die kapitalistische Aneignung vom Standpunkte des „Eigentumrechts“ das Verständnis für die Entstehung des Mehrwerts aus Kapital ebenso versperrt, wie er sich früher durch seine Deklamationen gegen das „Sparen“ das Verständnis für die Entstehung des Kapitals aus

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[1] l. c., Bd. II, S. 136. – [Fußnote im Original]

[2] l. c., Bd. II, S. 225. – [Fußnote im Original]

[3] l. c., Bd. I, S. 61. – [Fußnote im Original]