Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 203

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kung“ eine Art Galilei in der Nationalökonomie geworden zu sein, und er zieht seine „fallende Lohnquote“ zur Erklärung aller Übel und Widersprüche der kapitalistischen Wirtschaft heran. Aus der fallenden Lohnquote leitet er also vor allem den Pauperismus ab, der bei ihm neben Krisen „die soziale Frage“ ausmacht. Und es wäre angezeigt, der geneigten Aufmerksamkeit der modernen Marxtöter die Tatsache zu empfehlen, daß es zwar nicht Marx, wohl aber der ihnen viel näher stehende Rodbertus gewesen ist, der eine regelrechte Verelendungstheorie, und zwar in der gröbsten Form, aufgestellt und sie im Unterschied von Marx nicht zur Begleiterscheinung, sondern zum Zentralpunkt der „sozialen Frage“ gemacht hat. Siehe z. B. seine Beweisführung der absoluten Verelendung der Arbeiterklasse im „Ersten socialen Brief an von Kirchmann“. Sodann muß die „fallende Lohnquote“ auch zur Erklärung der anderen grundlegenden Erscheinung der „sozialen Frage“ herhalten: der Krisen. Hier tritt Rodbertus an das Problem des Gleichgewichts zwischen Konsumtion und Produktion heran und berührt den ganzen Komplex der damit verbundenen Streitfragen, die bereits zwischen Sismondi und der Ricardoschule ausgefochten wurden.

Die Kenntnis der Krisen war bei Rodbertus natürlich auf ein viel reicheres Tatsachenmaterial gestützt als bei Sismondi. In seinem „Ersten socialen Brief“ gibt er bereits eine eingehende Schilderung der vier Krisen: 1818/1819, 1825[1], 1837–1839 und 1847. Dank der längeren Beobachtung konnte Rodbertus zum Teil einen tieferen Einblick in das Wesen der Krisen gewinnen, als dies seinen Vorläufern möglich war. So formuliert er bereits 1850 die Periodizität der Krisen, und zwar ihre Wiederkehr mit immer kürzeren Intervallen, dafür aber in immer zunehmender Schärfe: „Von Mal zu Mal, im Verhältnis der Zunahme des Reichtums hat sich die Furchtbarkeit dieser Krisen gesteigert, sind die Opfer, die sie verschlingen, größer geworden. Die Krisis von 1818/19, so sehr sie schon den Schrecken des Handels und die Bedenken der Wissenschaft erregte, war verhältnismäßig unbedeutend gegen die von 1825/26. Die letztere schlug dem Kapitalvermögen Englands solche Wunden, daß die berühmtesten Staatswirte die vollständige Ausheilung derselben bezweifelten, sie ward dennoch von der Krisis von 1836/37 übertroffen. Die Krisen von 1839/40 und 1846/47 richteten noch wieder stärkere Verheerungen an als die vorausgehenden.“ „Indessen nach der bisherigen Erfahrung kehren die

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[1] Die Krise von 1825/26 in Großbritannien war die erste zyklische Industriekrise in der Geschichte des Kapitalismus. Die Aktienkurse fielen, so daß u. a. 70 Provinzbanken und zahlreiche Aktiengesellschaften zusammenbrachen und bis 1828 kein englisches Kapital exportiert wurde.