Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 188

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Schrift. Mit der französischen zeitgenössischen Literatur der Opposition gegen die klassische Schule war Rodbertus also wohl vertraut, vielleicht weniger mit der viel zahlreicheren englischen, in welchem Umstand bekanntlich die Legende der deutschen Professorenwelt über die sogenannte „Priorität“ Rodbertus’ vor Marx in der „Begründung des Sozialismus“ ihre einzige schwache Wurzel hat. So schreibt Professor Diehl in seiner Skizze über Rodbertus im „Handwörterbuch der Staatswissenschaften“: „Rodbertus ist als der eigentliche Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus in Deutschland zu bezeichnen, denn schon vor Marx und Lassalle hatte er in seinen Schriften aus den Jahren 1839 und 1842 ein vollständiges sozialistisches System geliefert, eine Kritik des Smithianismus, eine neue theoretische Grundlage und soziale Reformvorschläge.“ Dies bieder, fromm und gottesfürchtig im Jahre 1901 (2. Auflage) – nach allem und trotz allem, was Engels, Kautsky und Mehring zur Zerstörung der professoralen Legende geschrieben hatten. Daß übrigens der monarchisch, national und preußisch gesinnte „Sozialist“ Rodbertus, der Kommunist für die Zukunft nach 500 Jahren und für die Gegenwart Anhänger einer festen Ausbeutungsrate von 200 Prozent, gegenüber dem internationalen „Umstürzler“ Marx in den Augen aller deutschen Gelehrten der Nationalökonomie ein für allemal die Palme der „Priorität“ erringen mußte, versteht sich von selbst und kann durch die triftigsten Nachweise nicht erschüttert werden. Doch uns interessiert hier eine andere Seite der Rodbertusschen Analyse. Derselbe Diehl setzt seinen Panegyrikus folgendermaßen fort: „Doch nicht nur für den Sozialismus hat Rodbertus bahnbrechend gewirkt, sondern die gesamte national-ökonomische Wissenschaft verdankt ihm große Anregung und Förderung, die theoretische Nationalökonomie besonders durch die Kritik der klassischen Nationalökonomen, durch die neue Theorie der Einkommensverteilung, durch die Unterscheidung der logischen und historischen Kategorien von Kapital usw.“ Mit diesen letzteren Großtaten Rodbertus’, namentlich mit den „usw.“, wollen wir uns hier befassen.

Die Kontroverse zwischen Rodbertus und v. Kirchmann wurde angeregt durch die grundlegende Schrift des ersteren „Zur Erkenntniß unserer staatswirthschaftlichen Zustände“ aus dem Jahre 1842. v. Kirchmann antwortete darauf in den „Demokratischen Blättern“ in zwei Abhandlungen: „Ober die Grundrente in socialer Beziehung“ und „Die Tauschgesellschaft“, worauf Rodbertus 1850 und 1851 mit den „Socialen Briefen“ replizierte. Damit kam die Diskussion auf jenes theoretische Gebiet, auf dem dreißig Jahre früher die Polemik zwischen Malthus–Sismondi und

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