Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 176

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Etwas weiter gibt Say dies selbst zu, macht aber gleichzeitig seinem Widerpart eine neue Unterstellung: „Nicht die Verbraucher sind es, die in einer Nation fehlen“, sagt er, „sondern die Mittel, zu kaufen. Sismondi glaubt, daß diese Mittel erheblicher sein werden, wenn die Produkte seltener und demzufolge teurer sind und ihre Herstellung den Arbeitern einen größeren Lohn eintragen wird.“[1] Hier versucht Say, die Theorie Sismondis, der die Grundlagen selbst der kapitalistischen Organisation, ihre Anarchie in der Produktion und ihren ganzen Verteilungsmodus angriff, in die eigene vulgäre Denkmethode oder richtiger Schwatzmethode zu verflachen: Er travestiert seine „Neuen Grundsätze“ in ein Plädoyer für „Seltenheit“ der Waren und teure Preise. Und er singt dem entgegen ein Loblied auf den Hochgang der kapitalistischen Akkumulation, er sagt, daß, wenn die Produktion lebhafter, die Arbeitskräfte zahlreicher, der Umfang der Produktion erweitert wird, „die Nationen besser und allgemeiner versorgt werden“, wobei er die Zustände der industriell entwickeltsten Länder gegen die mittelalterlichen Miseren preist. Im Gegenteil seien die „Maximen“ Sismondis für die bürgerliche Gesellschaft höchst gefährlich: „Weshalb fordert er die Untersuchung von Gesetzen, die den Unternehmer verpflichten würden, dem von ihm beschäftigten Arbeiter die Existenz zu garantieren? Dergleichen Untersuchung würde den Unternehmungsgeist paralysieren; schon die bloße Befürchtung, daß der Staat in private Verträge sich einmischen könnte, ist eine Geißel und gefährdet den Wohlstand einer Nation.“[2] Diesem allgemeinen apologetischen Geschwätz Says gegenüber führt Sismondi noch einmal die Debatte auf ihren Grund zurück: „Sicherlich habe ich niemals geleugnet, daß Frankreich seit den Tagen Ludwigs XIV. seine Bevölkerung verdoppelt und seinen Verbrauch vervielfältigt hat, wie er es mir entgegenhält; ich habe nur behauptet, daß die Vervielfältigung der Produkte ein Gut ist, wenn sie begehrt, bezahlt, gebraucht werden, daß sie dagegen ein Übel ist, wenn kein Begehren nach ihnen stattfindet und die ganze Hoffnung des Produzenten darauf beruht, den Produkten einer mit der seinigen in Wettbewerb stehenden Industrie die Verbraucher zu entziehen. Ich habe zu zeigen gesucht, daß der natürliche Lauf der Nationen in der fortschreitenden Ver-

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[1] l. c., S. 21. – [Fußnote im Original]

[2] l. c., S. 29. Say klagt Sismondi als den Erzfeind der bürgerlichen Gesellschaft in folgender pathetischen Deklamation an: „C’est contre l’organisation moderne de la société: organisation qui, en dépouillant l’homme qui travaille de toute autre propriété que celle de ses bras, ne lui donne aucune garantie contre une concurrence dirigée à son préjudice. Quoi! parce que la société garantit à toute espèce d’entrepreneur la libre disposition de ses capitaux, c’est à dire de sa propriété, elle dépouille l’homme qui travaille ! Je le répète: rien de plus dangéreux que des vues qui conduisent à régler l’usage des propriétés.“ Denn „les bras et les facultés“ – „sont aussi des propriétés“!