Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 159

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strakten Warenaustausch zu konkreten sozialen Verhältnissen zu wenden: „Nehmen wir z. B. an, daß ein Landbebauer hundert Arbeitern Nahrung und Kleidung vorgeschossen hat und daß diese ihm Nahrungsmittel haben entstehen lassen, die für zweihundert Menschen ausreichend sind, während ein Fabrikant seinerseits hundert Arbeitern Nahrung und Kleidung vorgeschossen hat, für die ihm diese Kleidungsstücke für zweihundert Menschen angefertigt haben. Es wird dann dem Pächter nach Abzug der Nahrung und Kleidung für seine eigenen Arbeiter noch Nahrung für hundert andere zur Verfügung stehen, während der Fabrikant nach Ersatz der Kleidung seiner eigenen Arbeiter noch hundert Kleider für den Markt übrigbehält. In diesem Falle werden die beiden Artikel, der eine gegen den anderen, getauscht werden, die überschüssigen Nahrungsmittel bestimmen die Nachfrage nach den Kleidern, und die überschüssigen Kleider bestimmen die Nachfrage nach der Nahrung.“

Man weiß nicht, was man mehr an dieser Hypothese bewundern soll: die Abgeschmacktheit der Konstruktion, die alle wirklichen Verhältnisse auf den Kopf stellt, oder die Ungeniertheit, mit der gerade alles, was zu beweisen war, in den Prämissen bereits vorausgeschickt ist, um hinterher als „bewiesen“ zu gelten. Jedenfalls erscheint die Leipziger Büchermesse dagegen als das Muster einer tiefen und realistischen Denkweise. Um zu beweisen, daß für jede Sorte Waren jederzeit eine unumschränkte Nachfrage geschaffen werden könne, nimmt MacCulloch als Beispiel zwei Produkte, die zu den dringendsten und elementarsten Bedürfnissen jedes Menschen gehören: Nahrung und Kleidung. Um zu beweisen, daß die Waren in jeder beliebigen Menge ohne Rücksicht auf das Bedürfnis der Gesellschaft zum Austausch gebracht werden können, nimmt er ein Beispiel, wo zwei Produktenmengen von vornherein aufs Haar genau den Bedürfnissen angepaßt sind, wo also gesellschaftlich gar kein Überschuß vorhanden ist, nennt aber dabei die gesellschaftlich notwendige Menge einen „Überschuß“ – nämlich gemessen an dem persönlichen Bedürfnis der Produzenten an ihrem eigenen Produkt – und weist so glänzend nach, daß jeder beliebige „Überschuß“ an Waren durch einen entsprechenden „Überschuß“ an anderen Waren zum Austausch gelangen kann. Um endlich zu beweisen, daß der Austausch zwischen verschiedenen privat produzierten Waren – trotzdem ihre Mengen, ihre Herstellungskosten, ihre Wichtigkeit für die Gesellschaft naturgemäß verschiedene sein müssen – dennoch zuwege gebracht werden könne, nimmt er als Beispiel von vornherein zwei genau gleiche Mengen Waren von genau gleichen Herstellungskosten und genau gleicher allgemeiner Notwendigkeit für die Ge-

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