Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 153

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produktion: „Das Einkommen des vergangenen Jahres muß die Produktion dieses Jahres bezahlen.“ Wie soll nun unter solchen Voraussetzungen die kapitalistische Akkumulation stattfinden? Wenn das Gesamtprodukt von den Arbeitern und den Kapitalisten restlos verzehrt werden muß, so kommen wir offenbar aus der einfachen Reproduktion nicht heraus, und das Problem der Akkumulation wird unlösbar. In der Tat läuft die Sismondische Theorie darauf hinaus, die Akkumulation für unmöglich zu erklären. Denn wer soll das überschüssige Produkt im Falle der Erweiterung der Reproduktion kaufen, da die gesamte gesellschaftliche Nachfrage durch die Lohnsumme der Arbeiter und durch den persönlichen Konsum der Kapitalisten dargestellt ist? Sismondi formuliert auch die objektive Unmöglichkeit der Akkumulation in folgendem Satz: „Nach allem diesem muß man sagen, daß es niemals möglich ist, die Gesamtheit der Erzeugung des Jahres (bei erweiterter Reproduktion – R. L.) gegen die Gesamtheit des vorhergehenden Jahres auszutauschen. Wenn die Erzeugung stufenweise fortschreitend wächst, muß der Austausch jedes Jahres einen kleinen Verlust verursachen, welcher zu gleicher Zeit eine Vergütung der zukünftigen Lage darstellt.“ Mit anderen Worten, die Akkumulation muß jedes Jahr bei der Realisierung des Gesamtprodukts einen unabsetzbaren Überschuß in die Welt setzen. Sismondi schreckt aber vor der letzten Konsequenz zurück und rettet sich sofort „auf die mittlere Linie“ durch eine wenig verständliche Ausflucht: „Wenn dieser Verlust gering ist und gut verteilt wird, so erträgt ihn jeder, ohne sich über sein Einkommen zu beklagen. Hierin gerade besteht die Wirtschaftlichkeit des Volkes, und die Reihe dieser kleinen Opfer vermehrt das Kapital und das Nationalvermögen.“ Wird hingegen die Akkumulation rücksichtslos betrieben, dann wächst sich der unabsetzbare Überschuß zur öffentlichen Kalamität aus, und wir haben die Krise. So bildet die kleinbürgerliche Ausflucht der Dämpfung der Akkumulation die Lösung Sismondis. Die Polemik gegen die klassische Schule, die die unumschränkte Entfaltung der Produktivkräfte und Erweiterung der Produktion befürwortete, ist ein ständiger Kehrreim Sismondis, und der Warnung vor den fatalen Folgen des unumschränkten Dranges zur Akkumulation ist sein ganzes Werk gewidmet.

Die Darlegung Sismondis hat seine Unfähigkeit bewiesen, den Prozeß der Reproduktion als Ganzes zu begreifen. Von seinem mißlungenen Versuch abgesehen, die Kategorien Kapital und Einkommen gesellschaftlich auseinanderzuhalten, leidet seine Reproduktionstheorie an dem fundamentalen Irrtum, den er von Ad. Smith übernommen, nämlich an der Vorstellung, daß das jährliche Gesamtprodukt in persönlicher Konsum-

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