Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 144

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leiden, die notwendige Folge der Fehler unserer Organisation sind, die keineswegs nahe daran sind aufzuhören.“[1]

Die Quelle aller Übel sieht Sismondi nämlich in dem Mißverhältnis zwischen der kapitalistischen Produktion und der durch sie bedingten Einkommensverteilung, und hier greift er in das uns interessierende Problem der Akkumulation ein.

Das Leitmotiv seiner Kritik gegenüber der klassischen Ökonomie ist dies: Die kapitalistische Produktion wird ermuntert zur schrankenlosen Erweiterung ohne jede Rücksicht auf die Konsumtion, diese aber ist bemessen durch das Einkommen. „Alle neueren Volkswirte“, sagt er, „haben tatsächlich anerkannt, daß das öffentliche Vermögen, insofern es nur die Zusammensetzung des Privatvermögens ist, durch dieselben Vorgänge wie das jedes Privatmannes entsteht, sich vermehrt, verteilt wird, zugrunde geht. Alle wußten gar wohl, daß bei einem Privatvermögen der Teil, der ganz besonders beachtet werden muß, das Einkommen ist, daß nach dem Einkommen der Verbrauch oder die Ausgabe sich richten muß, wenn man nicht das Kapital zerstören will. Da aber in dem öffentlichen Vermögen aus dem Kapital des einen das Einkommen des anderen wird, waren sie in Verlegenheit zu entscheiden, was Kapital ist und was Einkommen, und haben es deshalb für das einfachste gehalten, das letztere vollständig bei ihren Berechnungen beiseite zu lassen. Durch die Unterlassung der Bestimmung einer so wesentlichen Menge sind Say und Ricardo zu dem Glauben gelangt, daß der Verbrauch eine unbegrenzte Macht sei oder wenigstens daß seine Grenzen lediglich durch die Produktion bestimmt werden, während er doch tatsächlich durch das Einkommen begrenzt wird. Sie haben gemeint, daß jeder produzierte Reichtum stets Verbraucher finde, und sie haben die Produzenten zu dieser Überfüllung der Märkte ermutigt, die heute das Elend der gesitteten Welt ausmacht, anstatt daß sie die Produzenten hätten darauf hinweisen sollen, daß sie nur auf Verbraucher rechnen können, die ein Einkommen haben.“[2]

Sismondi legt seiner Auffassung also eine Lehre vom Einkommen zugrunde. Was ist Einkommen und was Kapital? – dieser Unterscheidung wendet er die größte Aufmerksamkeit zu und nennt sie „die abstrakteste und schwierigste Frage der Volkswirtschaft“. Das IV. Kapitel im Buch II ist dieser Frage gewidmet. Sismondi beginnt die Untersuchung wie üblich mit einer Robinsonade. Für den „Einzelmenschen“ war die Unterscheidung zwischen Kapital und Einkommen „noch eine dunkle“, erst in der Gesell-

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[1] l. c., Bd. II, S. 358. – [Fußnote im Original]

[2] I. c., Bd. I, S. XIX. – [Fußnote im Original]