Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 132

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-5/seite/132

gesellschaftlichen Mehrwert, und zwar 1. sub einfacher Reproduktion, 2. sub erweiterter Reproduktion zu realisieren? Solche Fragen haben vom Standpunkte der einfachen Waren- und Geldzirkulation gar keinen Sinn und Inhalt. Hat man aber einmal diese Fragen gestellt und die Untersuchung auf das Geleise der Kapitalzirkulation und der gesellschaftlichen Reproduktion eingestellt, dann darf man nicht die Antwort im Bereiche der einfachen Warenzirkulation suchen, um – da hier das Problem nicht existiert und nicht beantwortet werden kann – hinterher zu erklären: das Problem sei schon längst beantwortet, es existiere überhaupt nicht.

Die Fragestellung selbst ist also bei Marx die ganze Zeit schief gewesen. Es hat keinen ersichtlichen Zweck zu fragen: Wo kommt das Geld her, um den' Mehrwert zu realisieren? Sondern die Frage muß lauten: Wo kommt die Nachfrage her, wo ist das zahlungsfähige Bedürfnis für den Mehrwert? War die Frage von Anfang an so gestellt, so hätte es nicht so langwieriger Umwege bedurft, um ihre Lösbarkeit respektive Unlösbarkeit klar hervortreten zu lassen. Unter der Annahme der einfachen Reproduktion ist die Sache einfach genug: Da der ganze Mehrwert von den Kapitalisten verzehrt wird, so sind sie eben selbst die Abnehmer, die Nachfrage für den gesellschaftlichen Mehrwert in seinem ganzen Umfang, müssen also auch das zur Zirkulation des Mehrwerts nötige Kleingeld in der Tasche haben. Aber gerade aus derselben Tatsache ergibt sich mit Evidenz, daß unter der Bedingung der Akkumulation, d. h. der Kapitalisierung eines Teils des Mehrwerts, die Kapitalistenklasse selbst unmöglich ihren ganzen Mehrwert abkaufen, realisieren kann. Es stimmt schon, daß genug Geld beschafft werden muß, um den kapitalisierten Mehrwert zu realisieren – wenn er überhaupt realisiert werden soll. Aber dieses Geld kann unmöglich aus der Tasche der Kapitalisten selbst kommen. Sie sind vielmehr gerade durch Annahme der Akkumulation Nichtabnehmer ihres Mehrwerts, auch wenn sie – abstrakt genommen – hierfür Geld genug in der Tasche hätten. Wer kann aber sonst die Nachfrage nach den Waren darstellen, in denen der kapitalisierte Mehrwert steckt?

„Außer dieser Klasse (der Kapitalisten – R. L.) gibt es nach unsrer Umerstellung – allgemeine und ausschließliche Herrschaft der kapitalistischen Produktion – überhaupt keine andre Klasse als die Arbeiterklasse. Alles, was die Arbeiterklasse kauft, ist gleich der Summe ihres Arbeitslohns, gleich der Summe des von der gesamten Kapitalistenklasse vorgeschoßnen variablen Kapitals.“[1]

Nächste Seite »



[1] Karl Marx: Das Kapital, zweiter Band. In: Karl Marx, Friedrich Engels: Werke, Bd. 24, S. 348 f.