Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 103

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Mehr können sie nicht um einen Deut zurückgeben, eher etwas weniger, nämlich, wenn sie „sparen“ können, um selbständig, um zu kleinen Unternehmern zu werden, was jedoch eine Ausnahme ist. Einen Teil des Mehrwerts verzehrt die Kapitalistenklasse selbst in Gestalt von Lebensmitteln und behält in ihrer Tasche das dafür gegenseitig ausgetauschte Geld. Wer aber nimmt ihr die Produkte ab, in denen der andere, kapitalisierte Teil des Mehrwerts verkörpert ist? Das Schema antwortet: zum Teil die Kapitalisten selbst, indem sie neue Produktionsmittel herstellen behufs Erweiterung der Produktion, zum Teil neue Arbeiter, die zur Anwendung jener neuen Produktionsmittel nötig sind. Aber um neue Arbeiter mit neuen Produktionsmitteln arbeiten zu lassen, muß man – kapitalistisch – vorher einen Zweck für die Erweiterung der Produktion haben, eine neue Nachfrage nach Produkten, die anzufertigen sind.

Die Antwort kann vielleicht lauten: Der natürliche Zuwachs der Bevölkerung schafft diese wachsende Nachfrage. Tatsächlich sind wir bei unserer hypothetischen Untersuchung der erweiterten Reproduktion in einer sozialistischen Gesellschaft von dem Wachstum der Bevölkerung und ihrer Bedürfnisse ausgegangen. Aber hier war das Bedürfnis der Gesellschaft die ausreichende Grundlage, wie es der einzige Zweck der Produktion ist. In der kapitalistischen Gesellschaft sieht das Problem anders aus. Um welche Bevölkerung handelt es sich, wenn wir von ihrem Zuwachs reden? Wir kennen hier – im Marxschen Schema – nur zwei Bevölkerungsklassen: Kapitalisten und Arbeiter. Der Zuwachs der Kapitalistenklasse ist ohnehin in der wachsenden absoluten Größe des verzehrten Teils des Mehrwertes inbegriffen. Jedenfalls kann er nicht den Mehrwert restlos verzehren, denn dann würden wir zur einfachen Reproduktion zurückkehren. Es bleiben die Arbeiter. Auch die Arbeiterklasse vermehrt sich durch natürlichen Zuwachs. Aber dieser Zuwachs geht die kapitalistische Wirtschaft als Ausgangspunkt wachsender Bedürfnisse an sich nichts an.

Die Produktion von Lebensmitteln zur Deckung von I v und II v ist nicht Selbstzweck, wie in einer Gesellschaft, wo die Arbeitenden und die Befriedigung ihrer Bedürfnisse die Grundlage des Wirtschaftssystems bilden. Nicht deshalb werden in der Abteilung II (kapitalistisch) soviel Lebensmittel produziert, weil die Arbeiterklasse von I und II ernährt werden müsse. Umgekehrt. Es können jeweilig soviel Arbeiter in I und II sich ernähren, weil ihre Arbeitskraft unter den gegebenen Absatzbedingungen verwertet werden kann. Das heißt, nicht eine gegebene Anzahl Arbeiter und ihr Bedarf sind Ausgangspunkt für die kapitalistische Produktion,

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