Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 81

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fortschreitende Bildung der industriellen Reservearmee zugleich als Folge und Voraussetzung des Akkumulationsprozesses. Unterwegs setzt sich Marx hier mit zwei Einfällen der bürgerlichen Ökonomie in bezug auf die Akkumulation auseinander: mit der mehr vulgärökonomischen „Abstinenztheorie“, welche die Teilung des Mehrwerts in Kapital und Einkommen und somit die Akkumulation selbst für eine ethische Heldentat der Kapitalisten ausgibt, und mit dem Irrtum der klassischen Ökonomie, wonach der ganze kapitalisierte Teil des Mehrwertes ausschließlich dazu verwendet wird, „von produktiven Arbeitern verzehrt zu werden“, d. h. in Löhnen für neuanzustellende Arbeiter draufzugehen. Diese irrige Annahme, die völlig außer acht läßt, daß jede Produktionserweiterung nicht bloß in der Vergrößerung der Zahl der beschäftigten Arbeiter, sondern auch in der Vermehrung der sachlichen Produktionsmittel (Baulichkeiten, Instrumente, zum mindesten und auf jeden Fall Rohstoffe) zum Ausdruck kommen muß, fußt offenbar auf dem bereits besprochenen falschen „Dogma“ von Ad. Smith. Aus dem Mißverständnis, wonach der Preis aller Waren sich – unter völliger Auslassung des konstanten Kapitals – in lauter Löhne und Mehrwert restlos auflöst, ergab sich auch die Annahme, zur Erweiterung der Produktion genüge es, mehr Kapital in Löhnen auszugeben. Merkwürdigerweise übernimmt auch Ricardo, der das Irrtümliche der Smithschen Lehre wenigstens gelegentlich eingesehen hat, ihre irrtümliche Schlußfolgerung mit vielem Nachdruck, indem er sagt: „Man muß verstehen, daß alle Produkte eines Landes konsumiert werden; aber es macht den denkbar größten Unterschied, ob sie konsumiert werden durch solche, die einen anderen Wert reproduzieren, oder durch solche, die ihn nicht reproduzieren. Wenn wir sagen, daß Einkommen erspart und zum Kapital geschlagen wird, so meinen wir, daß der Teil des Einkommens, von dem es heißt, er sei zum Kapital geschlagen, durch produktive statt durch unproduktive Arbeiter verzehrt wird.“ Nach dieser seltsamen Vorstellung, die alle hergestellten Produkte von den Menschen verzehren läßt, also für unverzehrbare Produktionsmittel: Werkzeuge und Maschinen, Rohstoffe und Baulichkeiten, im gesellschaftlichen Gesamtprodukt gar keinen Platz übrig hat, geht auch die erweiterte Reproduktion in der merkwürdigen Weise vonstatten, daß statt eines Teils feinerer Lebensmittel für die Kapitalistenklasse im Betrage des kapitalisierten Teils des Mehrwerts einfache Lebensmittel für neue Arbeiter produziert werden. Eine andere Verschiebung als innerhalb der Lebensmittelproduktion kennt die klassische Theorie der erweiterten Reproduktion nicht. Daß Marx mit diesem elementaren Schnitzer Smith-Ricardos spielend fertig wurde, ver-

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