Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 767

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die gemütliche Gangart eines Pendels, dessen jede Schwingung ein Generationsalter, das heißt 25 Jahre dauert, sondern die Löhne befinden sich in unaufhörlicher vibrierender Bewegung, so daß weder die Arbeiterklasse sich mit ihrer Fortpflanzung auf die Lohnhöhe einzurichten die Möglichkeit hat noch die Industrie mit ihrer Nachfrage auf die Fortpflanzung der Arbeiter warten kann. Zweitens wird der Arbeitsmarkt der Industrie überhaupt in seiner Größe nicht durch die natürliche Fortpflanzung der Arbeiter bestimmt, sondern durch den beständigen Zufluß der frischen proletarisierten Schichten vom flachen Lande, aus dem Handwerk und der Kleinindustrie sowie der eigenen Frauen und Kinder der Arbeiter. Die Überfüllung des Arbeitsmarktes ist eben in der Gestalt der Reservearmee eine ständige Erscheinung und eine Lebensbedingung der modernen Industrie. Es ist somit nicht der Wechsel im Angebot der Arbeitskräfte, nicht die Bewegung der Arbeiterklasse, sondefn der Wechsel in der Nachfrage des Kapitals, seine Bewegung, die für die Lohnhöhe maßgebend ist. Die Arbeitskraft ist als eine in Überzahl vorhandene Ware stets auf Lager, sie wird besser oder schlechter entlohnt, je nachdem es dem Kapital gefällt, in einer Hochkonjunktur stark die Arbeitskraft aufzusaugen oder sie im Katzenjammer der Krise wieder massenhaft auszuspeien.

Der Mechanismus des Lohngesetzes ist also ein ganz anderer, als die bürgerliche Nationalökonomie und Lassalle annahmen. Das Resultat jedoch, das heißt die tatsächlich daraus sich ergebende Gestaltung der Lohnverhältnisse, ist eine noch schlimmere als nach jener alten Annahme. Das kapitalistische Lohngesetz ist zwar nicht ein „ehernes“, aber noch unerbittlicher und grausamer, weil es ein „elastisches“ Gesetz ist, das die Löhne der beschäftigten Arbeiter in der Weise auf das Minimum der Existenzmittel herabzudrücken sucht, daß es gleichzeitig eine ganze große Schicht Unbeschäftigter an einem dünnen elastischen Schmachtseil zwischen Sein und Nichtsein zappeln läßt.

Die Aufstellung des „ehernen Lohngesetzes“ mit seinem aufreizenden revolutionierenden Charakter war nur in den Anfängen, in den Jugendjahren der bürgerlichen Nationalökonomie möglich. Von dem Augenblick, wo Lassalle dieses Gesetz zur Achse seiner Agitation in Deutschland gemacht hatte, beeilten sich die nationalökonomischen Lakaien der Bourgeoisie, das eherne Lohngesetz abzuschwören, es für falsch, für eine Irrlehre zu erklären und zu verdammen. Eine ganze Meute von ordinären bezahlten Agenten des Fabrikantentums, wie Faucher, Schulze aus Delitzsch, Max Wirth, eröffneten einen Kreuzzug gegen Lassalle und das eherne Lohngesetz und besudelten dabei rücksichtslos die eigenen Vor-

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