Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 758

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Lebenshaltung der Arbeiter an sich, absolut genommen, kann also steigen, während ihr Anteil, relativ zu anderen Klassen genommen, sinken kann. Die Lebenshaltung jedes Menschen und jeder Klasse kann aber nur dann richtig beurteilt werden, wenn man sie an den Verhältnissen der gegebenen Zeit und der anderen Schichten derselben Gesellschaft einschätzt. Der Fürst eines primitiven, halbwilden oder barbarischen Negerstammes in Afrika hat eine niedrigere Lebenshaltung, das heißt einfachere Wohnung, schlechtere Kleidung, rohere Nahrung, als ein durchschnittlicher Fabrikarbeiter in Deutschland. Aber dieser Fürst lebt doch im Vergleich mit den Mitteln und Anforderungen seines Stammes „fürstlich“, wenn der Fabrikarbeiter in Deutschland, verglichen mit dem Luxus der reichen Bourgeoisie und den Bedürfnissen der heutigen Zeit, recht armselig lebt. Um also die Stellung der Arbeiter in der heutigen Gesellschaft richtig zu beurteilen, ist es notwendig, nicht nur den absoluten Lohn, das heißt die Größe des Arbeitslohnes an sich, sondern auch den relativen Lohn, das heißt den Anteil, den der Lohn des Arbeiters am ganzen Produkt seiner Arbeit ausmacht, zu untersuchen. Wir haben in unserem Beispiel früher angenommen, der Arbeiter müsse bei elfstündigem Arbeitstag die ersten sechs Stunden seinen Lohn, das heißt seine Lebensmittel, abarbeiten und dann fünf Stunden umsonst für den Kapitalisten Mehrwert schaffen. In diesem Beispiel haben wir also vorausgesetzt, daß die Herstellung von Lebensmitteln für den Arbeiter sechs Stunden Arbeit kostet. Wir haben auch gesehen, daß der Kapitalist mit allen Mitteln die Lebenshaltung des Arbeiters herabzudrücken sucht, um möglichst die unbezahlte Arbeit, den Mehrwert, zu vergrößern. Nehmen wir aber an, die Lebenshaltung des Arbeiters ändere sich nicht, das heißt, er sei in der Lage, sich immer dieselbe Menge Nahrung, Kleidung, Wäsche, Möbel etc. zu verschaffen. Nehmen wir also an, der Lohn gehe absolut genommen nicht herunter. Wenn jedoch die Herstellung aller dieser Lebensmittel durch Fortschritte in der Produktion billiger geworden ist und jetzt zum Beispiel weniger Zeit erfordert, so wird jetzt der Arbeiter kürzere Zeit brauchen, um seinen Lohn abzuarbeiten. Nehmen wir an, die Menge Nahrung, Kleidung, Möbel usw„ die der Arbeiter täglich braucht, erfordere nun nicht mehr sechs Stunden Arbeit, sondern nur noch fünf. Dann wird der Arbeiter bei seinem elfstündigen Arbeitstag nicht sechs, sondern bloß fünf Stunden für die Ersetzung seines Lohnes arbeiten, und es bleiben ihm ganze sechs Stunden für die unbezahlte Arbeit, zur Schaffung des Mehrwerts für den Kapitalisten. Der Anteil des Arbeiters an seinem Produkt ist um ein Sechstel geringer geworden, der Anteil des Kapitalisten um ein Fünftel

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