Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 740

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Wert seines eigenen Unterhalts zurückerstattet, wo er sozusagen für sich selbst arbeitet, und einem unbezahlten, worin er geschenkte Arbeit oder Mehrarbeit für den Kapitalisten schafft.

Ähnliches war auch bei den früheren Formen der gesellschaftlichen Ausbeutung der Fall. Zur Zeit der Hörigkeit war die Arbeit des hörigen Bauern für sich und seine Arbeit für den Fronherrn sogar zeitlich und räumlich getrennt. Der Bauer wußte ganz genau, wann und wieviel er für sich arbeitete und wann und wieviel für die Erhaltung des gnädigen Herrn, Adligen oder Geistlichen. Er arbeitete erst einige Tage auf eigenem Acker, dann einige Tage auf herrschaftlichem, oder er arbeitete vormittags auf eigenem und nachmittags auf herrschaftlichem, oder er arbeitete einige Wochen durchweg nur auf eigenem und dann einige Wochen auf dem herrschaftlichen. So war zum Beispiel in einem Dorfe der Abtei Maurusmünster im Elsaß die Fronarbeit um die Hälfte des 12. Jahrhunderts folgendermaßen festgesetzt: Seit Mitte April bis Mitte Mai stellte jede Bauernhufe eine Mannskraft drei volle Tage pro Woche, von Mai bis Johanni einen Nachmittag pro Woche, von Johanni bis zur Heumahd zwei Tage pro Woche, zur Erntezeit drei Nachmittage pro Woche und von Martini bis Weihnachten drei volle Tage pro Woche. Freilich wuchs im späteren Mittelalter mit dem Fortschritt zur Leibeigenschaft die herrschaftliche Arbeit so anhaltend, daß bald fast alle Tage in der Woche und alle Wochen im Jahre der Fronleistung gehörten und der Bauer kaum noch Zeit mehr hatte, um den eigenen Acker zu bestellen. Aber auch dann wußte er ganz genau, daß er nicht für sich, sondern für andere arbeitete. Eine Täuschung darüber war bei dem blödesten Bauern nicht möglich.

Bei der modernen Lohnarbeit liegt die Sache ganz anders. Der Arbeiter schafft nicht etwa in dem ersten Teil seines Arbeitstages Gegenstände, die er selbst braucht: seine Nahrung, Kleidung etc., um später andere Dinge für den Unternehmer zu produzieren. Im Gegenteil, der Arbeiter in der Fabrik oder auf dem Werk produziert den ganzen Tag einen und denselben Gegenstand, und zwar meistens einen Gegenstand, den er nur zum geringsten Teil oder gar nicht zum eigenen privaten Konsum braucht: etwa lauter Stahlfedern oder Gummibänder oder Seidengewebe oder gußeiserne Röhren. In dem unterschiedslosen Haufen Stahlfedern oder Bänder oder Gewebe, den er tagsüber geschaffen hat, sieht jedes Stück aufs Haar genauso aus wie das andere, man merkt daran nicht den geringsten Unterschied, ob ein Teil davon bezahlte oder unbezahlte Arbeit ist, ob ein Teil für den Arbeiter, ein anderer für den Unternehmer ist. Im Gegenteil, das Produkt, an dem der Arbeiter arbeitet, hat für ihn gar keinen Nutzen,

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