Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 728

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Smith und Ricardo, zu beantworten nicht gelungen. Die Entdeckung, daß im Tauschwert jeder Ware, wie im Gelde auch, bloß menschliche Arbeit steckt und daß somit der Wert jeder Ware um so größer ist, je mehr Arbeit ihre Herstellung erfordert und umgekehrt, diese Entdeckung ist nämlich erst die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte der Wahrheit besteht in der Erklärung, wieso und warum die menschliche Arbeit denn die seltsame Form des Tauschwertes und gar die rätselhafte Form des Geldes annimmt. Die englischen Schöpfer der Nationalökonomie haben sich diese letztere Frage nicht einmal vorgelegt, denn sie betrachteten es als eine angeborene, von Natur gegebene Eigenschaft der menschlichen Arbeit, daß sie Waren zum Tausch und Geld schafft. Das heißt mit anderen Worten: Sie nahmen an, daß ebenso natürlich, wie der Mensch essen und trinken muß, wie er auf dem Kopf Haare und im Gesicht eine Nase hat, er auch mit seinen Händen Waren zum Handel produzieren müsse. Sie glaubten dies so fest, daß Adam Smith sich zum Beispiel in allem Ernst die Frage vorlegt, ob nicht schon die Tiere miteinander Handel treiben, und er verneint dies nur deshalb, weil man noch keine derartigen Beispiele bei Tieren bemerkt hat. Er sagt[1]:

Diese naive Auffassung bedeutet aber nichts anderes, als daß die großen Schöpfer der Nationalökonomie in der felsenfesten Vorstellung lebten, die heutige kapitalistische Gesellschaftsordnung, bei der alles Ware ist und alles nur für den Handel produziert wird, sei die einzig mögliche und ewige Gesellschaftsordnung, die so lange dauern wird, wie das Menschengeschlecht auf Erden lebt. Erst Karl Marx, der als Sozialist die kapitalistische Ordnung nicht für die ewige und einzig mögliche, sondern für eine vergängliche geschichtliche Gesellschaftsform hielt, stellte Vergleiche zwischen den heutigen und den früheren Verhältnissen in anderen Epochen an. Es zeigte sich dabei, daß die Menschen Jahrtausende lebten und arbeiteten, ohne vom Geld und vom Austausch viel zu wissen. Erst in dem Maße, wie jede gemeinsame planmäßige Arbeit in der Gesellschaft aufhörte und die Gesellschaft sich in einen losen anarchischen Haufen ganz freier und selbständiger Produzenten mit Privateigentum auflöste, in dem Maße wurde der Austausch zum einzigen Mittel, die zersplitterten Individuen und ihre Arbeiten zu einer zusammenhängenden gesellschaftlichen Wirtschaft zu vereinigen. An Stelle eines gemeinsamen Wirtschaftsplans, der der Produktion vorausging, trat nun das Geld, das zum einzigen direkten gesellschaftlichen Bindemittel wurde, und zwar deshalb, weil es das einzig Gemeinsame zwischen den vielen verschiedenen Privatarbeiten dar-

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[1] In der Quelle fehlt das Zitat.