Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 717

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die Zerteilung und Zerstückelung des Grundeigentums in Privateigentum, die Wegnahme der Viehherden, die Umkrempelung sämtlicher hergebrachter Verhältnisse der Gesellschaft, nur daß das Resultat dabei meistens nicht, wie wir angenommen, die Verwandlung der kommunistischen Gemeinde in eine Gesellschaft freier Privatproduzenten mit Warenaustausch ist. Denn das aufgelöste Gemeineigentum wird nicht zum Privateigentum der Eingeborenen, sondern zum gestohlenen und geraubten Gut der europäischen Eindringlinge gemacht, und die Eingeborenen selbst, die ihrer alten Existenzformen und Existenzmittel beraubt sind, werden entweder zu Lohnsklaven oder einfach zu Sklaven der europäischen Kaufleute gemacht oder aber, wo beides nicht angängig – direkt ausgerottet. Für alle primitiven Völker in den Kolonialländern ist also der Übergang von den primitiven kommunistischen Zuständen zu den modernen kapitalistischen tatsächlich als eine plötzliche Katastrophe, als ein unsägliches Unglück voll furchtbarster Leiden eingetreten. Bei der europäischen Bevölkerung jedoch war es nicht eine Katastrophe, sondern ein langsamer, allmählicher und unmerklicher Prozeß, der lange Jahrhunderte dauerte. Die Griechen und die Römer treten in die Geschichte noch mit dem Gemeineigentum ein. Die alten Germanen, die bald nach Christi Geburt vom Norden nach Süden dringen, das römische Reich zerstören und sich in Europa ansiedeln, bringen noch die kommunistische Urgemeinde mit und halten sie eine Zeitlang aufrecht. Die ausgebildete Warenwirtschaft der europäischen Völker aber, wie wir sie geschildert haben, kommt erst am Ausgang des Mittelalters, im 15. und 16. Jahrhundert, auf.

2. Die zweite Korrektur, die an unserer Darstellung zu machen wäre, ergibt sich aus der ersten. Wir haben angenommen, daß bereits im Schoße der kommunistischen Gemeinde alle möglichen Arbeitszweige spezialisiert und gesondert waren, das heißt, daß die Arbeitsteilung innerhalb der Gesellschaft bis zu einem sehr hohen Grad der Entwicklung gediehen war, so daß bei dem Eintritt jener Katastrophe, die das Gemeineigentum abgeschafft und die Privatproduktion mit Austausch herbeigeführt hatte, die Arbeitsteilung als Grundlage des Austausches bereits fertig war. Diese Annahme ist geschichtlich unzutreffend. Innerhalb der primitiven Gesellschaftszustände ist, solange das Gemeineigentum besteht, die Arbeitsteilung nur sehr wenig, erst keimartig entwickelt. Wir haben das an dem Beispiel der indischen Dorfgemeinde gesehen. Nur etwa 12 Personen waren aus der Masse der Gemeindeeinwohner ausgeschieden und mit besonderen Berufen betraut, darunter eigentliche Handwerker nur sechs: der Schmied, der Zimmermann, der Töpfer, der Barbier, der Wäscher und der

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