Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 699

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Der Schuster sitzt an seinem Leisten, der Bäcker hat nichts und versteht nichts als seinen Backofen, der Schmied hat nur die Schmiede und weiß nur den Hammer zu schwingen usw. usw. Aber die Kette, die früher alle diese Spezialarbeiten zu einer gemeinschaftlichen Arbeit, zur gesellschaftlichen Wirtschaft verband, ist gesprungen. Nun ist jeder auf sich gestellt: der Landwirt, der Schuster, der Bäcker, der Schlosser, der Weber usw. Jeder ist ein völlig freier, unabhängiger Mensch. Die Gemeinde hat ihm nichts mehr zu sagen, niemand kann ihm befehlen, für die Gesamtheit zu arbeiten, niemand kümmert sich aber auch um seine Bedürfnisse. Die Gemeinde, die ein Ganzes war, ist in einzelne Atome, in einzelne Partikelchen zerfallen, wie ein in tausend Splitter zertrümmerter Spiegel; jeder Mensch schwebt nun gewissermaßen wie ein losgelöstes Stäubchen in der Luft und mag sehen, wie er auskommt. Was wird nun die Gemeinde, in der eine solche Katastrophe über Nacht vorgegangen ist, was werden all die sich selbst überlassenen Menschen am andern Morgen anfangen? Sicher ist zunächst das eine: Sie werden am andern Morgen vor allem – arbeiten, genau wie sie es früher getan. Denn solange ohne Arbeit die menschlichen Bedürfnisse nicht befriedigt werden können, muß jede menschliche Gesellschaft arbeiten. Welche Umwälzungen und Veränderungen in der Gesellschaft auch vorgehen, die Arbeit kann nicht einen Augenblick ruhen. Die ehemaligen Mitglieder des kommunistischen Gemeinwesens würden also, auch nachdem ihre Bande untereinander abgebrochen und sie ganz sich selbst überlassen bleiben, vor allem jeder weiterarbeiten, und zwar, da wir annahmen, daß jede Arbeit bereits spezialisiert ist, würde jeder nur diejenige Arbeit weiterbetreiben können, die sein Fach geworden ist und deren Produktionsmittel er hat: Der Schuster würde Stiefel machen, der Bäcker Brot backen, der Weber Gewebe anfertigen, der Landmann Korn bauen usw. Nun entsteht aber sofort die Schwierigkeit: Jeder von diesen Produzenten verfertigt zwar äußerst wichtige und direkt notwendige Gegenstände des Gebrauchs, jeder von den Spezialisten: der Schuster, der Bäcker, der Schmied, der Weber waren noch gestern alle gleich hochgeschätzte nützliche Mitglieder der Gemeinschaft, ohne die sie nicht auskommen konnte. Jeder hatte seinen wichtigen Platz im Ganzen. Nun existiert aber das Ganze nicht mehr, jeder existiert vielmehr nur für sich. Aber keiner kann für sich allein, von den Produkten seiner Arbeit allein leben. Der Schuster kann nicht seine Stiefel verzehren, der Bäcker kann nicht mit Brot alle seine Bedürfnisse befriedigen, der Landmann könnte mit reichstem Kornspeicher vor Hunger und Kälte umkommen, wenn er nichts als Korn hätte. Jeder hat mannigfaltige Bedürfnisse und kann selbst

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