Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 696

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grüßung vorführte – an sich eine viel weniger absurde und wahnwitzige Erscheinung als die Herrschaft von „Gottes Gnaden“ eines Menschen, dem der ärgste Feind nicht nachsagen kann, daß er ein Zauberer ist, über 67 Millionen Köpfe eines Volkes, das einen Kant, Helmholtz und Goethe hervorgebracht hat.

Die primitive kommunistische Gesellschaft führt durch ihre eigene innere Entwicklung zur Ausbildung der Ungleichheit und der Despotie. Sie geht aber daran noch nicht zugrunde; sie kann vielmehr Jahrtausende unter diesen urwüchsigen Verhältnissen fortexistieren. Regelmäßig werden aber solche Gesellschaften früher oder später zur Beute einer fremden Eroberung und unterliegen dann einer mehr oder weniger weittragenden sozialen Umbildung. Namentlich ist hier die muselmännische Fremdherrschaft von geschichtlicher Wichtigkeit, weil sie auf weiten Strecken in Asien und Afrika der europäischen vorausgegangen war. Überall, wo die mohammedanischen Nomadenvölker – ob Mongolen oder Araber – ihre Fremdherrschaft in einem eroberten Lande einrichteten und befestigten, da kam es zu einem sozialen Prozeß, den Henry Maine und Maxim Kowalewski als die Feudalisierung des Landes bezeichnen. Ohne sich den Grund und Boden selbst zum Eigentum zu machen, richteten die Eroberer ihr Augenmerk auf zweierlei Ziel: Entrichtung von Abgaben und militärische Befestigung der Herrschaft im Lande. Beiden Zwecken diente eine bestimmte administrativ-militärische Organisation, nach der das Land in mehrere Statthaltereien eingeteilt und muselmännischen Beamten in eine Art Lehen gegeben wurde, die Steuereinnehmer und Militärverwalter zugleich waren. Auch wurden große Portionen der unbebauten Markländereien zur Gründung von Militärkolonien verwendet. Diese Einrichtungen zusammen mit der Verbreitung des Islams vollzogen gewiß einen tiefgehenden Umschwung in den allgemeinen Existenzbedingungen der primitiven Gesellschaften. Allein ihre wirtschaftlichen Bedingungen wurden dadurch wenig geändert. Die Grundlagen und die Organisation der Produktion blieben dieselben und dauerten – trotz Ausbeutung und militärischem Druck – lange Jahrhunderte unverändert fort. Freilich war die muselmännische Herrschaft nicht überall so rücksichtsvoll gegenüber den Lebensbedingungen der Eingeborenen. Die Araber an der Ostküste Afrikas trieben zum Beispiel vom Sansibarer Sultanat aus jahrhundertelang einen ausgedehnten Sklavenhandel mit Negern, der zu regelrechten Sklavenjagden im Innern Afrikas, zur Entvölkerung und Zerstörung ganzer Negerdörfer und zur Steigerung der despotischen Gewalt der Eingeborenenhäuptlinge führte, die im Verkauf ihrer eigenen Untertanen oder unter-

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