Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 674

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-5/seite/674

Rechtsbücher raten, die besten, friedliebendsten und gerechtesten Mitglieder zu diesem Amt zu wählen und ihnen unbedingten Gehorsam zu leisten. Das Buch Narada unterscheidet schon zweierlei Markgenossenschaften: „Verwandte“, das heißt Geschlechtsgenossenschaften, und „Mitbewohner“, das heißt Nachbargemeinden als Ortsverbände Nichtblutsverwandter. Beide Rechtsbücher kennen aber gleichfalls das Eigentum nur auf Grundlage der eigenen Arbeit: Ein verlassener Boden gehört dem, der ihn zum Anbau nimmt, ein unrechtmäßiger Besitz wird selbst nach drei Generationen nicht anerkannt, wenn nicht eigene Bearbeitung damit verbunden war. Bis dahin sehen wir also das indische Volk noch in denselben primitiven Gesellschaftsbanden und Wirtschaftsverhältnissen begriffen, in denen es jahrtausendelang in dem Gebiete des Indus und nachher in der heroischen Zeit der Eroberung des Gangesgebietes lebte, aus der die großen Volksepen Ramayana und Mahabharata geboren wurden. Erst die Kommentare zu den alten Rechtsbüchern, die stets das charakteristische Symptom tiefer sozialer Veränderungen und des Bestrebens sind, alte Rechtsanschauungen neuen Interessen gemäß zu beugen und zu deuten, sind ein deutlicher Beweis, daß bis zum 14. Jahrhundert – der Wirkungsepoche der Kommentatoren – die indische Gesellschaft tiefgehende Verschiebungen in ihrer sozialen Struktur durchgemacht hat. Inzwischen ist nämlich eine einflußreiche Priesterkaste entstanden, die sich materiell und rechtlich über der Masse der Bauern erhebt. Die Kommentatoren suchen die deutliche Sprache der alten Rechtsbücher – genau wie ihre christlichen Kollegen im feudalen Westen – dahin „auszulegen“, um den priesterlichen Grundbesitz zu rechtfertigen, Schenkungen von Land an die Brahminen zu ermuntern und dadurch die Aufteilung der Markländereien und die Ausbildung eines geistlichen Großgrundbesitzes auf Kosten der Bauernmasse zu fördern. Der Vorgang war typisch für die Schicksale aller orientalischen Gesellschaften.

Die Lebensfrage jedes etwas vorgeschritteneren Ackerbaus in den meisten Gegenden des Orients ist die künstlische Bewässerung.[1] Wir sehen auch sowohl in Indien wie in Ägypten schon früh als solide Grundlage der Landwirtschaft großartige Berieselungswerke, Kanäle, Brunnen oder planmäßige Vorkehrungen zur Anpassung der Landwirtschaft an periodische Überschwemmungen. Alle diese großangelegten Unternehmungen überstiegen von vornherein die Kräfte, aber auch die Initiative und den Wirtschaftsplan der einzelnen Markgenossenschaften. Zu ihrer Leitung

Nächste Seite »



[1] Randnotiz R. L.: 1. Kanalbauten (Arbeitsteilung). Trotzdem Markgenoss. 2. Verschiedene Typen (Koval.) der Gem. 3. Alles dies erhielt sich trotz Eroberer Mahom. Feudalisierung. 4. Engländer!