Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 614

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Algeriens durch ein Gesetz über die zwangsweise Einführung des Privateigentums entschieden werden sollten, ertönte in dieser Versammlung, in der noch die Feigheit und Mordlust der Sieger über die Pariser Kommune nachzitterte, immer wieder das Wort, das uralte Gemeineigentum der Araber müsse um jeden Preis vernichtet werden „als eine Form, die in den Geistern kommunistische Tendenzen unterstütze“. In Deutschland sollten inzwischen die Herrlichkeiten des neuen Deutschen Reiches, die Gründerära und der erste kapitalistische Krach der siebziger Jahre[1], das Bismarcksche Blut-und-Eisen-Regime mit seinem Sozialistengesetz[2], die Klassenkämpfe aufs äußerste steigern und jede Gemütlichkeit auch aus der wissenschaftlichen Forschung verbannen. Das beispiellose Wachstum der deutschen Sozialdemokratie als der fleischgewordenen Theorien von Marx und Engels hat den Klasseninstinkt der bürgerlichen Wissenschaft in Deutschland außerordentlich geschärft, und hier setzte auch die Reaktion gegen die Theorien des Urkommunismus am kräftigsten ein. Kulturhistoriker wie Lippert und Schurtz, Nationalökonomen wie Bücher, Soziologen wie Starcke, Westermarck und Grosse sind sich heute einig in der eifrigen Bekämpfung der Lehre vom Urkommunismus und namentlich der Morganschen Theorien über die Entwicklung der Familie und die ehemals allgemeine Herrschaft der Sippenverfassung mit ihrer Gleichheit der Geschlechter und allgemeiner Demokratie. Ein Herr Starcke zum Beispiel nennt in seiner „Primitiven Familie“ 1888 Morgans Hypothesen über die Verwandtschaftssysteme einen „wilden Traum“, „um nicht zu sagen Fie-berwahn“.[3] [4] Aber auch ernstere Gelehrte, wie der Verfasser der besten Kulturgeschichte, die wir besitzen, Lippert, ziehen gegen Morgan zu Felde. Auf Grund von veralteten, oberflächlichen Berichten ökonomisch und ethnologisch ganz ungebildeter Missionare aus dem 18. Jahrhundert und unter völliger Ignorierung der großartigen Studien Morgans schildert Lippert die Wirtschaftszustände der Indianer Nordamerikas, gerade der-

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[1] Der sogenannte Gründerkrach von 1873 hatte in Deutschland die bis dahin schwerste zyklische Überproduktionskrise des 19. Jahrhunderts eingeleitet, die die Folge einer disproportionalen Entwicklung zugunsten der Schwer- und Rüstungsindustrie im stürmischen wirtschaftlichen Aufschwung nach der Reichseinigung von 1871 war.

[2] Siehe S. 226, Fußnote 3.

[3] C. N. Starcke: Die Primitive Familie in ihrer Entstehung und Entwicklung, Leipzig 1888, S. 221.

[4] Starckes und Westermarcks Kritiken und Theorien sind von Cunow in seinen „Verwandtschafts-Organisationen der Australneger”, 1894, einer gründlichen und vernichtenden Prüfung unterzogen worden, worauf die beiden Herren unseres Wissens bis jetzt kein Wort geantwortet haben. Das hindert jedoch nicht, daß sie von den neueren Soziologen, wie zum Beispiel von Grosse, unverdrossen als Vernichter Morgans und erste Autoritäten gefeiert werden. Es geht den Morgan-Vemichtern ungefähr wie den Marx-Vernichtern: Der bürgerlichen Wissenschaft genügt die Tendenz gegen die verhaßten Revolutionäre, und der gute Wille ersetzt hier jede wissenschaftliche Leistung. – [Fußnote im Original]