Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 596

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-5/seite/596

ihr zugehörige Gebiet bewirtschaftete, einteilte und bearbeitete. Der einzelne bekam durch Auslosung einen Ackeranteil, der ihm nur für bestimmte Zeit zur Benutzung überlassen wurde, wobei strengste Gleichheit der Bodenanteile beobachtet war. Alle wirtschaftlichen, rechtlichen und allgemeinen Angelegenheiten einer solchen Markgenossenschaft, die zugleich meist eine Hundertschaft der waffenfähigen Männer bildete, wurden von der Versammlung der Markgenossen selbst geregelt, die auch den Markvorsteher und die anderen öffentlichen Beamten wählte.

Nur in Gebirgen, Wäldern oder Marschgegenden, wo Mangel an Raum oder kultivierbarem Land eine größere Ansiedlung unmöglich machte, wie zum Beispiel im Odenwald, in Westfalen, in den Alpen, siedelten sich die Germanen in Einzelhöfen an. Jedoch bildeten auch diese eine Genossenschaft unter sich, wobei zwar nicht das Feld, wohl aber Wiese, Wald und Weide Gemeineigentum des ganzen Dorfes, die sogenannte Allmende, bildete und alle öffentlichen Angelegenheiten durch die Markgenossenschaft erledigt wurden.

Der Stamm als Zusammenfassung vieler, meist hundert solcher Markgenossenschaften trat vorwiegend nur als oberste richterliche und militärische Einheit ins Werk. Diese markgenossenschaftliche Organisation bildete, wie von Maurer in den zwölf Bänden seines großen Werkes nachgewiesen hat, die Grundlage, gleichsam die kleinste Zelle des ganzen sozialen Gewebes vom frühesten Mittelalter bis in die spätere Neuzeit hinein, so daß sich die feudalen Fronhöfe, Dörfer und Städte in verschiedenen Modifikationen aus jenen Markgenossenschaften herausgebildet haben, deren Trümmer wir bis auf den heutigen Tag in einzelnen Gegenden Mittel- und Nordeuropas vorfinden.

Als die ersten Entdeckungen des uralten Gemeineigentums an Grund und Boden in Deutschland und in den nordischen Ländern bekannt wurden, da kam die Theorie auf, hier sei man einer besonderen, spezifisch germanischen Einrichtung auf die Spur gekommen, die sich nur aus den Eigentümlichkeiten des germanischen Volkscharakters erklären lasse. Trotzdem Maurer selbst von dieser nationalen Auffassung des Agrarkommunismus der Germanen ganz frei war und auf ähnliche Beispiele anderer Völker hinwies, blieb es in der Hauptsache in Deutschland feststehender Satz, daß die alte ländliche Markgenossenschaft eine Besonderheit der germanischen öffentlichen und Rechtsverhältnisse, ein Ausfluß „germanischen Geistes“ sei. Doch kamen fast zu gleicher Zeit mit dem ersten Maurerschen Werke über den uralten Dorfkommunismus der Germanen neue Entdeckungen auf einem ganz anderen Teil des europäischen Kontinents

Nächste Seite »