lichen Gewalt“[1], die ein neues Licht auf die germanische Vergangenheit und auf die soziale und ökonomische Struktur des Mittelalters warf. Schon seit einigen Jahrzehnten war man an einzelnen Orten, bald in Deutschland, bald in den nordischen Ländern, auf der Insel Island, auf merkwürdige Überbleibsel uralter ländlicher Einrichtungen gestoßen, die auf das ehemalige Bestehen eines Gemeineigentums an Grund [und] Boden an jenen Orten, eines Agrarkommunismus hinwiesen. Man wußte jedoch zunächst diese Überbleibsel nicht zu deuten. Nach einer früher, zumal seit Möser[2] und Kindlinger[3] allgemein verbreiteten Ansicht sollte die Kultivierung des Bodens in Europa von Einzelhöf en ausgegangen und jeder Hof mit einer abgesonderten Feldmark umgeben gewesen sein, die das Privateigentum des Hofbesitzers war. Erst im späteren Mittelalter, so glaubte man, wären der größeren Sicherheit wegen die bis dahin zerstreuten Wohnungen zu Dörfern zusammengerückt und die früher getrennten Hoffeldmarken zu Dorffeldmarken zusammengeworfen worden. So unwahrscheinlich bei genauerer Erwägung diese Ansicht erscheint – muß man doch zu ihrer Begründung das Unglaublichste annehmen, nämlich, daß die zum Teil weit auseinanderliegenden Wohnungen niedergerissen wurden, bloß um sie an einer anderen Stelle wieder zu erbauen, und ferner, daß ein jeder die bequeme Lage seiner Privatfelder rund um seinen Hof herum mit völlig freier Bewirtschaftung freiwillig aufgegeben habe, um sodann seine Felder, in schmale Riemen zerlegt, durch alle Fluren zerstreut und mit einer von seinen Dorfgenossen völlig abhängigen Bewirtschaftung wieder zu erhalten –, so unwahrscheinlich diese Theorie war, so blieb sie doch die vorherrschende bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts. Erst von Maurer faßte alle diese Einzelentdeckungen in einer kühnen, großangelegten Theorie zusammen und wies auf Grund enormen Tatsachenmaterials und gründlichster Forschungen in alten Archiven, Urkunden, Rechtsinstitutionen endgültig nach, daß das Gemeineigentum an Grund und Boden nicht erst im späteren Mittelalter entstanden war, sondern überhaupt die typische und allgemeine uralte Form der germanischen Ansiedlungen in Europa von allem Anfang an war. Vor zweitausend Jahren also und noch früher, in jener grauen Vorzeit der germanischen
[1] Georg Ludwig von Maurer: Einleitung zur Geschichte der Mark-, Hof-, Dorf- und. Stadt-Verfassung und der öffentlichen Gewalt, München 1854.
[2] Justus Moser (1720–1794), Publizist, Historiker und Staatsmann der Aufklärungszeit, war Verfasser der „Osnabrüdckischen Geschichte” (Osnabrück 1768; 2. Aufl. Berlin 1780; 3. Aufl. 1820), in deren erstem Band er seine Auffassung von der Kultivierung des Bodens in Europa entwickelte.
[3] Nikolaus Kindlinger (1749–1828), Jesuit und Historiker, erforschte die Geschichte Westfalens („Münsterische Beiträge”, 1787 ff.) und lehnte sich dabei an Justus Moser an.